Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
Abständen. Dicke alte Akten tauchten dann plötzlich wie U-Boote vor mir auf. Ich schlug Anna vor, einfach alle Asservatenanfragen zu sammeln und einmal alle drei Monate pauschal die Vernichtung der Asservate zu verfügen (als Freudenfeuer quasi). Man bräuchte dann nur noch eine großzügige Haftpflichtversicherung. Mit Annas Galgenhumor konnte ich noch eine Weile mithalten!
Aber auch die einzuhaltenden internen Richtlinien und Dienstanweisungen für Staatsanwälte kosteten Anfänger wie mich eine Menge Zeit. Teilweise kamen sie mir auch wie aus einer anderen Epoche vor. Ich hatte ein größeres Verfahren gegen einen Internetbetrüger zur Anklage gebracht. Der Angeklagte hatte Gegenstände im Wert von fünfzig bis zweihundert Euro im Internet versteigert, nach Zahlung jedoch nie irgendetwas geliefert. Es gab mehrere Hundert |40| Geschädigte. Ein Betrugsopfer ließ über eine Polizeidienststelle in Österreich anfragen, was aus seinem Verfahren geworden sei. Ich fertigte ein Antwortschreiben, aus dem hervorging, dass sein Fall als Nummer 78 in der Anklage zum Strafgericht aufgeführt war. Als ich das Schreiben Jens zur Gegenzeichnung vorlegte, bekam der beinahe einen Herzinfarkt. »Du willst wohl schon wieder zum Gespräch zu Dr. Ring?«, fragte er mich drohend. Er machte mich auf eine etwa vierzig Jahre alte Dienstanweisung aufmerksam. Danach musste ich zunächst ein offizielles Schreiben des Hauptabteilungsleiters an die Senatsverwaltung für Justiz vorbereiten. Diese würde sich dann an das entsprechende Justizministerium in Österreich und selbiges wiederum an die Polizeistation des Geschädigten in Österreich wenden. In dem Schreiben waren Feinheiten wie die Eingangsfloskel: »Beehren wir uns, Ihnen mitzuteilen, …« einzuhalten. Meinen ersten Entwurf durfte ich nochmals überarbeiten. Keinesfalls konnte es heißen: »Anliegend findet sich …«. Richtig war: »Beigeschlossen befindet sich …«. Nach zwei Stunden hatte ich schließlich die Anfrage beantwortet. Ich betete, dass sich keine weiteren Geschädigten aus dem Ausland melden würden und ich mich nie wieder »beehren« müsste.
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Kriminaloberkommissar Konrad
K riminaloberkommissar Konrad knipste die Lampe auf seinem Schreibtisch an und seufzte. Draußen brach bereits die Dämmerung herein. Seine Frau und sein dreijähriger Sohn Lukas würden keinen Freudensalto hinlegen, wenn er wieder so spät nach Hause kam. Häufig sah er seinen Sohn abends nur kurz eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen. Seit er ins Raubdezernat gewechselt war, gab es zu Hause ständig Streit. Seine Frau konnte nicht verstehen, warum er bei gleicher Besoldung in ein Dezernat wechselte, wo derart viel zu tun war. Zudem wurden die Überstunden nicht bezahlt und abbummeln ging eigentlich nicht. Doch Konrad fühlte sich geehrt, als man ihm die Stelle anbot. Er wusste, dass man ihn ausgesucht hatte, weil er bei seinen Ermittlungen Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit an den Tag legte. Tugenden, die im Raubdezernat gefragt waren. Er hatte hier gewisse Freiheiten, trug aber auch eine entsprechende Verantwortung. Früher stand das Raubdezernat bei vielen Kollegen hoch im Kurs. Das hatte jedoch nachgelassen. Aufgrund der schwierigen Haushaltslage verfügte das Dezernat nicht über die erforderlichen Stellen, und es war mit Fällen zugeschüttet. Es fiel hier für den einzelnen Ermittler viel Arbeit an und das meiste waren wirklich massive Straftaten.
Schwere Raubüberfälle gehören in Berlin fast zur Tagesordnung. |42| Wenn überhaupt, gibt es dazu eine kleine Meldung auf den hinteren Seiten der Regionalzeitungen. Das Interesse der Berliner Zeitungsleser hält sich in Grenzen. Man ist längst »abgehärtet«. Anders sieht es aus, wenn bei einem Raubüberfall Tote zu beklagen sind. Die Zuständigkeit liegt dann allerdings bei der Mordkommission, die schon vom Personalschlüssel her über ganz andere Möglichkeiten verfügt. Konrad wusste aber, dass auch Raubüberfälle schwere und bleibende Schäden hinterlassen und dass manche Opfer dabei innerlich ein Stück weit sterben. Viele können sich nach dem Überfall nicht mehr frei in der anonymen Öffentlichkeit bewegen. Sie fühlen sich nur noch zu Hause sicher, beim Kontakt mit anderen Menschen plagen sie oft Angstgefühle. Das führt zu Abschottung und Vereinsamung.
Es war klar, dass das Raubdezernat schwere Raubüberfälle nicht verhindern konnte. Doch Konrad ärgerte es, dass sich so wenige dieser Taten aufklären
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