Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
einen der beiden Angreifer und versuchte zu entkommen. Sie schaffte zwei bis drei Meter, die ihr Mut gaben, zerrte und riss weiter. Plötzlich war sie im Hausflur und hörte sich lauthals nach Hilfe schreien. Die Angreifer schlugen weiter auf sie ein und versuchten sie zurück in den Laden zu ziehen. Der eine stolperte dabei und fiel hin. Irgendwie wirkte das Zerren und Schlagen jetzt halbherzig. Sie schauten immer wieder zur Ladentür und brüllten etwas in einer fremden Sprache. Vielleicht konnte sie die Haustür erreichen.
|12| Die beiden Täter im Laden schwitzten mittlerweile stark und konnten kaum durch die Masken schauen, da diese ständig verrutschten. Endlich gelang es ihnen, den Ladenbesitzer zu Fall zu bringen, sodass einer die Kasse aufbrechen und das Geld hastig in eine Tüte packen konnte. Jetzt begann die Frau im Hausflur zu schreien. Sie wandten sich zur Flucht und mussten an dem Ladenbesitzer vorbei, der sich schon wieder aufgerichtet hatte. Es war wie verflucht. Entnervt warf einer seine Pistolenattrappe nach ihm. Werner L. griff nach dem Mann und bekam seine Maske zu fassen. Aber der riss sich los, lief seinen Komplizen hinterher. Er stolperte, weil die Maske verrutschte und er nichts mehr sehen konnte. Hastig riss er sie sich vom Kopf, warf sie weg und lief an der schreienden Frau vorbei, die jetzt auf der Straße stand. Im Hausflur blieben zwei Masken liegen.
Peter K. war gerade auf dem Weg zu seiner Spätschicht, als er die Frau auf der anderen Straßenseite schreien hörte. Er sah, wie ein Mann wegrannte, sich dabei eine Maske vom Kopf riss und in den Rucksack steckte. Zwei Sekunden später befand sich Peter K. bereits auf der Verfolgungsjagd. Der Mann lief jedoch sehr schnell und hatte ungefähr hundert Meter Vorsprung. Er warf seinen Rucksack weg, der ihn wohl behinderte, bog an der nächsten Ecke ab und verschwand aus dem Sichtfeld. Als Peter K. die Kreuzung erreichte, war niemand mehr zu sehen. Er drehte sich um und ging zu dem Rucksack zurück. Vorsichtig hob er ihn mit einem Taschentuch auf und lief zum Tatort zurück. Als er dort ankam, sah er, wie der Ladenbesitzer gerade versuchte, seiner Frau hochzuhelfen. Er kannte beide flüchtig, da er ab und zu in dem Laden einkaufte. Die Frau war zusammengebrochen, die rechte Gesichtshälfte blutig und ganz dick. |13| Sie wimmerte. Das Gesicht des Mannes war fast nicht zu erkennen, der Mund stark angeschwollen, an der Stirn klaffte eine Wunde. Überall war Blut. An den Augen konnte er jedoch erkennen, dass auch der Mann weinte. Aus der Ferne waren Polizeisirenen zu hören.
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Die Abordnung
E inige Jahre später.
Jetzt war es also doch passiert. Ungläubig las ich das Schreiben nochmals durch. Da stand es schwarz auf weiß: »Abordnung zur Staatsanwaltschaft Berlin – Melden Sie sich am 15. Dezember um 9:00 Uhr in der Personalabteilung der Staatsanwaltschaft in der Turmstraße 91 – Sie tragen ab diesem Zeitpunkt die Dienstbezeichnung Staatsanwalt.« Das war schon in zehn Tagen!
Ich hatte mich erst mit fünfundzwanzig Jahren (nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann und Tätigkeit als Immobilienmakler) entschieden, Jura zu studieren. Kurz vor meinem 30. Geburtstag legte ich das erste Staatsexamen ab und begann drei Monate später mit dem Referendariat, das zwei Jahre dauerte. Nach dessen Abschluss, also dem zweiten Staatsexamen, begann ich in einer internationalen Großkanzlei zu arbeiten. Gleichzeitig hatte ich mich jedoch auch bei der Senatsverwaltung für Justiz für das Richteramt beworben. Die Senatsverwaltung legte meine Bewerbung dem Richterwahlausschuss vor, und es klappte. Wenig später hatte ich meine Ernennungsurkunde als Richter in der Hand. Die Ernennung bedeutete zunächst eine Probezeit von rund drei Jahren, in der verschiedene Stationen zu absolvieren waren, regelmäßig Beurteilungen erfolgten und, im schlimmsten Fall, auch eine Entlassung drohen konnte.
|15| Als ich das Abordnungsschreiben zur Staatsanwaltschaft erhielt, waren bereits zweieinviertel Jahre meiner Probezeit verstrichen. Ich hatte die Zeit in verschiedenen Amtsgerichten zugebracht. Zunächst war ich dafür zuständig, psychisch Kranken Betreuer zuzuordnen, später für allgemeine zivilrechtliche Streitigkeiten, Verkehrsordnungswidrigkeiten und so weiter. Als Amtsrichter bearbeitete ich meine Fälle völlig selbstständig. Wenn ich Fragen hatte, konnte ich meine Kollegen aufsuchen, die sich immer Zeit für eine Antwort nahmen. Einmal hatte
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