Auf Couchtour
Ihrer Wohnung.« Ernesto bellt sich im Hintergrund in Rage.
»Welche Musik? Das Einzige, was ich höre, ist das Gekläffe Ihres Dackels.«
»Ich, ich dachte …«
»Ja, ja, wer einmal lärmt, macht immer Krach, schönen Dank auch. Sie haben sich geirrt, Herr Steiner. Fragen Sie die anderen Mieter, denen stehen bestimmt schon die Haare zu Berge von Ernestos Alarm.«
»Wenn das so ist, dann …«
»Ist es!«, fahre ich ihm ins Wort. »Ihre Entschuldigung nehme ich an. War die Post schon da?« Klack. Aufgelegt.
»Ja!« Ich reiße die Arme hoch und triumphiere. Charline vergräbt ihr Gesicht in den Kissen. Ihr ganzer Körper bebt vor Lachen.
»Ich wette mit dir, der Steiner steht in diesem Moment vor seinem Türspion und beobachtet den Flur. Das macht der immer, von morgens bis abends. Ich ziehe mir jetzt meinen Schlafanzug an, gehe runter zum Briefkasten und beweise ihm meine Unschuld. Pass auf, den bringe ich richtig ins Grübeln.«
»Der arme Mann. Der denkt, er spinnt.«
»Soll er doch. Ich kann mir keine Abmahnungen wegen Ruhestörung mehr leisten, Charline. Wenn er mich wieder bei der Hausverwaltung anschwärzt, habe ich ein Problem. Die kündigen mir den Mietvertrag. Mach dir lieber Sorgen um mich als um den alten Zausel.«
»In Ordnung, aber beeil dich, sonst wird unser Frühstück kalt.« Gesagt, getan. Ich schlüpfe in einen Pyjama, toupiere mein Haar in alle Richtungen auf und schmiere mir braunen Lidschatten unter die Augen. Perfekt. Genauso sehe ich morgens nach dem Aufstehen aus. Mit müden Schritten schlurfe ich die Treppe herunter zum Briefkasten. An Steiners Tür kratzt es, von innen – Ernesto. Er knurrt. Ein scharfes »Schschscht!« bestätigt mir die Anwesenheit seines Herrchens. Bingo. Er sieht mich. Ich gähne, fische die Post aus dem Schlitz und mache mich ebenso schwerfällig auf den Rückweg, wie ich gekommen bin. Charline futtert schon. Sie fühlt sich ertappt, als ich um die Ecke luge.
»Na, hat er’s geschluckt.«
»Selbstverständlich! Ich bin rehabilitiert.« Ich lasse erst die beiden Briefe, dann mich aufs Sofa fallen. Erinnern Sie sich an meinen Plan, den ich anfangs erwähnte? Ich hoffe, Sie nicken jetzt und entsinnen sich, dass ich Ihnen noch eine Erklärung schuldig bin – Charline übrigens auch. Es wird Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen.
»Ich muss dir etwas sagen.«
»Seit wann kündigst du das vorher an. Ist es was Schlimmes?« Charlines Miene wird auf einmal ernst.
»Nein, ganz im Gegenteil, ich will nur, dass du mir auch wirklich zuhörst.«
»Das tue ich doch seit mehr als zehn Stunden, oder elf? Ach, ich weiß, das zweite Highlight, das du mir versprochen hast. Schieß los.« Ich haue es raus wie einen Paukenschlag: »Ich möchte mich selbstständig machen – als Masseurin.«
»Was?« Das Croissant bleibt Charline im Halse stecken. Sie hustet, beruhigt sich aber gleich wieder.
»Ich wollte mir ganz sicher sein, bevor ich es dir erzähle, sicher, dass ich es will, verstehst du?« Charline saugt die Luft ein, als gäbe es gleich keine mehr.
»Mensch, Rita, das ist die beste Idee, die du je hattest.« Sie beugt sich vor und drückt mich, so fest sie kann.
»Es ist erst mal nur ein Plan«, murmele ich in ihren Kragen. »Meine Eltern kommen am Sonntag. Ich werde sie bitten, mir das Geld für die Praxiseinrichtung vorzuschießen, zumindest einen Teil. Mein Vater erwähnte neulich, dass sein Bausparvertrag demnächst fällig wird. Soweit ich weiß, hat er bisher keine Pläne, wofür er das Geld ausgeben will. Falls doch, bürgen sie ja vielleicht für einen Kredit? Immerhin ist es auch in ihrem Interesse, weil sie mit ihrer Investition dazu beitragen würden, dass aus mir, wenn schon keine Ehefrau und Mutter, doch noch was Anständiges wird. Mal sehen, ob ich sie überzeugen kann.«
»Das schaffst du, da bin ich mir sicher. Du schaffst doch alles, was du dir vornimmst – im Gegensatz zu mir. Meine Entscheidungen treffen immer andere.« Charline blickt plötzlich nachdenklich zu Boden. »Du bist so mutig! Ich glaube, die Welt dreht sich zu schnell für mich. Jeder um mich herum geht seinen Weg: Bernd, die Kinder, du, nur ich trete auf der Stelle. Für mich verändert sich gar nichts, außer, dass ich immer weniger gebraucht werde.«
»Ach, jetzt übertreibst du aber!« Ich fange Charlines gesenkten Blick mit meinem auf.
»Was habe ich denn bisher schon erreicht? Ich bin 35 Jahre alt, lebe hier in meiner Butze ohne Fernseher, erfinde aus Einsamkeit einen
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