Philosophenportal
|7| Gedanken beim Eintritt ins Philosophenportal
Ein Portal lässt uns an den Eingang in ein ehrwürdiges und stattliches Bauwerk denken. Auch das Haus der Philosophie ist in
2500 Jahren zu fast unübersehbarer Größe gewachsen. Viele haben Scheu, dieses Haus zu betreten. Zu unübersichtlich sind die Gänge,
zu schwierig erscheint es, auch nur mit einzelnen Teilen dieses Hauses vertraut zu werden. Ein großes philosophisches Werk
ist in diesem Haus wie eine besonders kunstvoll eingerichtete Wohnung. Einige der üblichen Bewohner, die philosophisch Gelehrten,
beschäftigen sich oft über Jahrzehnte nur mit einer einzigen Nische dieses Hauses. Sie werden also darauf bestehen, dass man
ein klassisches Werk der Philosophie erst kennen lernt, wenn man sich lange und wiederholt damit auseinandersetzt, und sie
werden jeden Anspruch zurückweisen, ein solches Buch könne auch nur annähernd erschöpfend verstanden und ausgedeutet werden.
Doch muss es erlaubt sein, auch einmal einen ersten Rundgang zu machen, in einzelne, auffallend interessante Räumlichkeiten
einen Blick zu werfen und sich so eine Vorstellung von ihrer Lage, ihrer Architektur und ihrer Ausstattung zu machen. Danach
sollte jeder selbst entscheiden, wohin er noch einmal zurückkehren und einige Zeit verbringen möchte.
Genau auf solch einen Rundgang wollen die vorliegenden sechzehn Essays den Leser mitnehmen. Weder Ausrüstung noch Training
und schon gar keine Titel und Urkunden werden dafür erwartet. Nicht tief schürfende Analysen, sondern ein erstes Kennenlernen
in lockerer Atmosphäre ist das Ziel. Ansonsten trockene und unzugängliche Bücher können sich dabei von ihrer charmanteren
Seite |8| zeigen: Sie alle haben eine eigene, sehr persönliche Geschichte und sie beschäftigen sich mit Fragen, die, vom akademischen
Staub befreit, in einem interessanten und neuen Licht erscheinen.
Das Portal, so stattlich es auch erscheinen mag, ist doch der natürliche und bequemste Eingang zum Haus. Wer sich bisher davon
abhalten ließ, die Schwelle zu überschreiten, wird feststellen, dass das Philosophenportal sich für jeden öffnet, der Neugier,
Interesse und ein bisschen Zeit mitbringt. Er wird nach wenigen Schritten bemerken, dass die Räume dieses Hauses nicht für
eine kleine Schar Auserwählter hergerichtet wurden, sondern für alle, die bereit sind, sich auf Ideen einzulassen, die auf
den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich sind, sich bei näherem Hinsehen aber als sehr bedenkenswert erweisen. Manche davon
stehen unseren eigenen Gedanken vielleicht gar nicht so fern.
Es wird nicht an Experten fehlen, die auf die zahlreichen bedeutenden Werke hinweisen, die hier unberücksichtigt bleiben.
In der Tat handelt es sich nur um eine kleine Auswahl, ohne Anspruch auf Exklusivität oder Vollständigkeit. Jede Auswahl dieser
Art ist anfechtbar. Es wurden nicht immer diejenigen Werke ausgewählt, die im Mittelpunkt von Universitätsseminaren stehen,
sondern solche, die weit über die Philosophie hinaus Einfluss ausgeübt und Leser gefunden haben, und, so ist zu hoffen, auch
bei einer ersten Ansicht das Interesse neuer Leser wecken können. Das Philosophenportal ist nicht nur der Eingang zu einem
großen, sondern auch zu einem offenen und lebendigen Haus.
|9| Der Traum von den Philosophenkönigen
PLATON: Der Staat (zwischen 399 und 347 v. Chr.)
Der Mensch träumt nicht nur für sich allein. Es gibt auch kollektive Menschheitsträume. Sie malen das Bild einer befreiten,
glücklichen, vom Leid erlösten Welt. Religion, Philosophie und Kunst haben diese Träume immer wieder aufgenommen und gestaltet.
Zu den alten Menschheitsträumen gehört auch der vom idealen Staat als Modell einer perfekten und gerechten Ordnung des menschlichen
Zusammenlebens.
Unter den philosophischen Werken, die diesem Traum eine rationale Gestalt gegeben haben, ist das Hauptwerk des griechischen
Philosophen Platon,
Politeia
, zu Deutsch
Der Staat
, das berühmteste.
Der Staat
ist die erste uns überlieferte Staatsutopie überhaupt. Doch das Werk enthält viel mehr als eine politische Philosophie. Platon
hat mit diesem Buch den ganz großen Wurf versucht. Er wollte Politik und Moral, Metaphysik und Religion, rationale Weltdeutung
und Mythos miteinander verknüpfen. Mit anderen Worten: Platons
Staat
tritt mit dem Anspruch auf, die politische Ordnung mit den wahren, ewigen Gesetzen der Wirklichkeit zu verbinden. Er ist der
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