Auf das Leben
Drogendealer, die IRA und andere Terroristen -, lauter Leute, denen man nicht gern auf einer dunklen Straße begegnet. Peckthorpe war auf einem ehemaligen Flugplatz der Royal Air Force lokalisiert und bestand aus mehreren großen Betongebäuden, hohen Betonmauern und vielen Türmen. Es war alles andere als ein normales städtisches Kittchen.
Und es lag verdammt weit draußen, mit dem Auto über eine Stunde entfernt. Das bedeutete, dass für einen schnellen Besuch gut und gerne ein ganzer Nachmittag draufging, womöglich sogar noch ein Teil des Vormittags. Ich hatte nämlich die Erfahrung gemacht, dass man immer mindestens eine halbe Stunde brauchte, um in ein Gefängnis hineinzukommen, selbst wenn man einen festen Termin hatte. Manchmal musste man sogar noch viel länger warten. Niemand ist schuld an solchen Verzögerungen, manchmal sind andere Besucher einfach vor dir dran, dann ist Schichtwechsel, schließlich muss der Wachmann hinter der dicken Glasscheibe deine Papiere prüfen, die Genehmigung lesen und in seinem dicken Ordner nachschauen, ob der Besuch überhaupt genehmigt wurde. Dann erst kann der Kaplan gerufen werden, der wiederum ist aber immer unterwegs, und so sitzt man in dem schäbigen Wartezimmer und liest ein Buch oder betrachtet die Poster oder lauscht den geflüsterten Unterhaltungen von Ehefrauen und Eltern, von Partnern und Kindern der anderen Besucher. Außerdem ist es noch mal ein Mordsaufwand, durch die Sicherheitsschleusen zu kommen, die Tasche und den Mantel in einem Schrank einzuschließen, eine Marke an der Jacke festzustecken und von einem höflichen, aber langsamen Begleiter durch die Verteidigungszäune unserer verletzlichen Gesellschaft geleitet zu werden … Und wenn man wieder geht, dauert es noch einmal genauso lang; es kann nämlich immer nur einer durch die Schleuse, und nur jeweils einer kann Tasche und Mantel zurückbekommen … der Parkplatz ist übrigens nie weniger als zehn Minuten Fußweg vom Tor entfernt, und immer scheint es zu regnen, wenn ich einen derartigen Gefängsnisbesuch mache.
Aber dafür ist ein Rabbi schließlich da, nicht wahr? Um sich um Leute zu kümmern, um Kranke und Unfreie zu besuchen, zuzuhören, Glaubenshilfe zu geben und dabei immer seine eigenen Gefühle hinunterzuschlucken … Alles im Namen von etwas, das sich nicht mit Händen greifen lässt.
Der einzige Trost ist, dass man danach wieder gehen darf. Die Menschen, die man besucht, können das nicht. Und ich nehme an, dass für jemanden, der im Gefängnis arbeitet, wo die Leute in Spannen von Monaten und Jahren denken, die Zeit ziemlich relativ wird und er es nie eilig hat.
Es half alles nichts - ich hatte den Dienstagnachmittag noch frei, deshalb rief ich zurück, sprach mit dem Kaplan und machte aus, gegen zwei Uhr da zu sein. Er klang dankbar. Ich sah auf der Straßenkarte nach - Peckthorpe war wirklich irgendwo am Arsch der Welt, und als ich losfuhr, hatte ich umso mehr das Gefühl, eine gute Tat zu vollbringen.
Etwas Kaltes lag über dem Gefängnisareal. Es war die Art Kälte, die man spürt, wenn ein Ort vollkommen ohne Liebe ist. Die Kontrolle am Eingang war sehr gründlich, was mich nicht überraschte: Legen Sie den Inhalt Ihrer Taschen auf dieses Tablett. Nehmen Sie Ihren Hut ab. Bitte ziehen Sie Ihre Schuhe aus und stellen Sie sie auf diesen Tisch. Alles höflich, aber streng. Routine. Unpersönlich. Ich nehme solche Dinge nicht persönlich. Es bringt auch nichts, von Menschenrechten anzufangen. Die Häftlinge sitzen in den Zellen, weil jemand entschieden hat, dass sie dort hingehören, und genau genommen sollte ich dankbar dafür sein. Es handelt sich bei den Gefängnissen ja nicht um Konzentrationslager, um Himmels willen, nein. Und ich lasse mich auch auf keine Diskussion über beschädigte Kindheiten ein. Mein ganzes Volk hatte beschädigte Kindheiten, schreckliche Kindheiten. Wir Juden mussten mitansehen, wie unsere eigenen Eltern oder Geschwister geschlagen und voneinander getrennt wurden, ja, wie sie umgebracht wurden. Fast jeder Jude in Europa der Hitlerzeit verlor sein Haus im Bombenhagel, seine Freunde wurden getötet, er litt Hunger, lebte in Verzweiflung und Angst. Viele Juden fühlten sich dazu aufgerufen, an verschiedenen Fronten mitzukämpfen, unter schrecklichen Bedingungen: Sie waren dem Tod durch Kälte oder Hitze ausgeliefert, sie wateten durch Schlamm oder ertranken beinahe, sie wurden durch Dschungel gejagt, schleppten sich durch Wüsten oder
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