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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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hat uns in den letzten Tagen die Haut ohnehin schon fast vom
Fleisch gewaschen. Aber vor der Pfarrkirche von Lavacolla, da werfen wir doch
noch einmal unsere Rucksäcke ab und setzen uns für eine Weile schweigend auf
die Kirchentreppen. Dies ist unsere letzte Wanderpause auf dem langen Weg von
den französischen Pyrenäen bis nach Santiago. Eigentlich bin ich ein bisschen
traurig.

    Zum „Berg
der Freude“, zum Monte do Gozo also, ist es noch ein Weg von etwa fünf
Kilometern, am Anfang ziemlich steil, dann aber flach werdend. Wir sind sehr
gespannt, denn dieser sanfte Hügel über Santiago ist ein besonders
gefühlsbeladener, mit christlicher Tradition symbiotisch verbundener Ort. Hier
haben sich, vor allem in den älteren Zeiten, fast täglich ergreifende Szenen
abgespielt, in denen sich menschliche Erschütterung und tiefes religiöses
Empfinden eruptiv entluden. Von gläubigen Christen, die unsägliche Entbehrungen
und Gefahren auf sich genommen hatten, um am Grab des Apostels seelisches oder
körperliches Heil zu erfahren. Noch im 17. Jahrhundert, da die tiefe Frömmigkeit
des Mittelalters längst einen Bruch bekommen hatte, schreibt Domenico Laffi in
sein Pilgertagebuch:
    Wir verließen die Quelle und
stiegen während einer halben Legua hinan, bis zum Gipfel eines Hügels, der sich
Monte do Gozo nennt, von wo aus wir das so ersehnte und begehrte Santiago in
ungefähr einer halben Legua Entfernung erblickten. Als wir es sahen, fielen wir
auf die Knie, vergossen Freudentränen und sangen das „Te Deum“, wir konnten
aber nur zwei oder drei Bibelverse aussprechen, denn der Tränenstrom, der aus
unseren Augen floss, war so ungestüm, dass unser Herz bebte, und das ständige
Schluchzen zwang uns, den Gesang zu unterbrechen, bis wir endlich vom Weinen,
das jetzt langsam aufhörte, die nötige Linderung erfuhren, so dass wir das angefangene
„Te Deum „ wieder anstimmen konnten.
    Wir kommen
zunächst durch den kleinen Ort San Marcos, um dann nach links auf den
höchstgelegenen Punkt des Monte do Gozo zu steigen. Doch was ist das dort?
Haben wir uns verlaufen? Dort oben nämlich ragt, einem Fanal gleich, seit
neuester Zeit ein triumphales Riesenmonument aus Metall und Stein und hieran
angebrachten Reliefplatten in den Himmel, heroisch, dramatisch. Spontan glaubt
man sich an Orte der Geschichte versetzt, wo einmal eine schwere Schlacht tobte
und ein entscheidender Sieg, ein Durchbruch errungen wurde. Aber wir sind doch
nicht an der Wolga und auch nicht in der Normandie. Wir sind am Jakobsweg. Über
wen wurde hier triumphiert, wer wurde hier besiegt, niedergerungen? Etwa
Luzifer? Oder wenigstens die Habgier und Skrupellosigkeit Al Manzurs? Und wer
triumphierte hier? Die Askese, die Bescheidenheit und der Verzicht, wie sie dem
Pilgergedanken innewohnen? Aber warum dann ausgerechnet solch ein
    grimmiges,
martialisches Großdenkmal? Immerhin künden die dort angebrachten Relieftafeln
vom Papst, wie der vor einigen Jahren mit Pilgerstab in Santiago ankam, „Juan
Pablo II, Peregrino en Santiago de Compostela“. Also doch nur ein
Pilgerdenkmal.

    Wenige
Schritte von diesem Monument entfernt, wird man indessen schon wieder vom militärischen
Ambiente eingeholt. Dort, an den Hang gebaut, stehen etwa 30 Kasernengebäude.
Oder ist das doch schon das Himmlische Jerusalem, die ewige Stadt, in der unser
unruhiges Herz seine Ruhe und Heimat findet und worüber man uns in der
Stiftskirche zu Roncesvalles so einprägsam gepredigt hatte? Unser kleiner
Reiseführer gibt Auskunft:
    Es
handelt sich um einen gigantischen Hotel- und Herbergsbereich mit 25
Wohnblöcken, Geschäften, Restaurants und eine Rote-Kreuz-Station.
    Insgesamt
gibt es hier etwa 3.000 Betten.
    Und so geht
es in diesem Benidorm am Jakobsweg dann auch zu. Fröhliche, ja ausgelassene
Bustouristen, die glücklich und erleichtert sind, die Strapazen ihrer
„Pilgerschaft“ nach Santiago hinter sich zu haben, endlich auch auf dem
charismatischen Monte do Gozo angekommen, endlich auch echte Jakobspilger zu
sein. Te Deum laudamus. Und ab in die ebenfalls gigantische
Selbstbedienungskantine, die locker jeden Wettbewerb für Seelenlosigkeit
gewinnen würde.
    Für die
Fußwanderer gibt es hier oben einen eigenen Block, das ist gut so. Denn dort
wird am Abend von Pilgern aus verschiedenen Ländern ziemlich heftig debattiert.
Alle haben Verständnis dafür, dass man die Millionen Bus-Wallfahrer nach
Santiago vernünftig unterbringen muss. Aber niemand in der ganzen

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