Auf dem spanischen Jakobsweg
werden. Unter die Dusche, aus der ohnehin nur eiskaltes Wasser
läuft, will auch niemand. Wir waren den ganzen Tag unter der Dusche, schon
allein das Geräusch kann man nicht mehr hören. So stopfen wir unsere Schuhe mit
Zeitungspapier aus und fangen schon mal an, etwas zu essen und Rotwein zu
trinken. Das stärkt und wärmt und heitert auf. Nacheinander kommen einige von
denen an, die heute Morgen noch mit uns in der Herberge von Palas de Rei
zusammensaßen. Sie sind froh, jetzt dieses Refugio erreicht zu haben und
lachen, wenn sie zur Türe hereinkommen. Aber auch sie haben sich mit Rotwein
eingedeckt. Fröstelnd kriechen alle frühzeitig in ihre Schlafsäcke. Wir lassen
dabei unsere feuchte Unterwäsche am Leib, vielleicht die einzig wirksame
Methode, das Zeug bis morgen einigermaßen trocken zu bekommen. Nach kurzer Zeit
schauen aus jedem Schlafsack nur noch ein Kopf und eine Hand heraus und jede
Hand hält eine Rotweinflasche. Die Stimmung nähert sich sehr schnell dem Punkt,
wo man anfängt, Fahrtenlieder zu singen.
Monte do
Gozo: Berg der Freude?
Kaum zu
glauben, aber der Regen hat sich in der Nacht verzogen. So beginnen wir unseren
letzten Wandertag mit Zuversicht, aber auch mit sich steigernder Neugierde auf
Santiago. Bis dahin sind es knapp vierzig Kilometer, aber wir wollen, alter
Pilgertradition entsprechend, dort übernachten, wo man zum ersten Mal die Türme
der ersehnten Stadt zu Gesicht bekommt, auf dem Monte do Gozo, dem „Berg der
Freude“, oberhalb von Santiago.
Wir wandern,
meist auf Feldwegen, noch einmal durch die grünen Wiesen und Wälder Galiciens,
durch eine beruhigende, liebliche Landschaft, die sich in sanften Wellen zum
Atlantik hin abschwingt. Zwar gibt es auch heute noch Wolken, dazwischen aber
zunehmend Sonne und blauen Himmel. Auch die Vegetation ändert sich. Immer
häufiger verdrängen jetzt Eukalyptusbäume die gewohnten Eichen und Pinien und
schließlich laufen wir auf hellen Sandwegen durch reine Eukalyptuswälder, die
hier jede andere Flora abgewürgt haben.
Beim Dorf
Santa Irene überqueren wir einige Male die Nationalstraße und stoßen hier auch
auf einen großen Tankstellenkomplex. Genau die richtige Zeit, um in der
dortigen Bar Rast zu machen, etwas zu essen und unseren geliebten „café grande“
zu trinken. Nach Santiago sind es auf der Nationalstraße nicht einmal mehr
zwanzig Kilometer. Wenn wir jetzt ein Taxi nehmen würden, stünden wir in einer
Viertelstunde vor der großen Kathedrale. Aber wir sind Pilger, wir möchten
wenigstens die Mühsale des Weges, den so viele vor uns gegangen sind,
nachvollziehen können.
Vor dem Dorf
Cimadevila durchlaufen wir noch einmal einen dieser für Galicien so
charakteristischen langen Hohlwege. Sie sind meist schmal und auch tief
eingeschnitten, vor allem aber von beiden Seiten fast zugewuchert, so dass man
durch ein geheimnisvolles Halbdunkel läuft. Keltischer Gespensterglaube könnte
auch hier Anregungen finden. Nach dem Flughafenareal östlich von Santiago kommt
man über hügeliges Gelände nach wenigen Kilometern in die Ortschaft Lavacolla,
gruppiert an den Ufern eines Flüsschens mit gleichem Namen. An diesem
Flüsschen, vielleicht auch an einer dort entspringenden Quelle, wie von
Domenico Laffi um das Jahr 1673 berichtet, haben sich die Pilger schon seit dem
frühen Mittelalter gereinigt, bevor sie den Monte do Gozo und schließlich
Compostela selbst betraten. Diese Reinigung hatte nicht nur hygienische,
sondern auch rituelle Bedeutung. Aymerics Pilgerführer geht bereits um das Jahr
1130 auf diesen Sachverhalt ein:
Dort gibt es, zwei Meilen von
Santiago entfernt, an einem bewaldeten Ort einen Fluss, den man Lavamentula
nennt, weil dort die französischen Jakobspilger aus Liebe zum Apostel nach
Ablage ihrer Kleider nicht nur ihre Geschlechtsteile, sondern den ganzen Körper
vom Schmutz reinigen.
Obwohl aus
„Lavamentula“ später „Lavacolla“ wurde, so hat sich dadurch inhaltlich nichts
geändert. „Lava“ steht für „waschen“, „mentula“ für „männliches Glied“ und
wurde nur durch das historisch jüngere „colla“ abgelöst, was „Schwanz“ heißt.
Unter Pilgern ging es nie prüde zu, auch wenn mein neuzeitlicher Pilgerführer
„mentula“ diskret mit „einzelne Teile“ übersetzt.
Obgleich wir
uns den alten Pilgertraditionen stark verbunden fühlen, im Lavacolla-Flüsschen
wollen wir heute doch nicht herumplanschen. Nein, nicht einmal unsere „einzelnen
Teile“, der Regen
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