Auf dem spanischen Jakobsweg
leicht zu einer Odyssee
werden, möglicherweise sogar mit peinlichem Ausgang.
Eine dritte
zuverlässige Geräuschwelle erlebt der Pilger in den frühen Morgenstunden, lange
noch bevor es Tag wird. Da muss nur die erste Plastiktüte anfangen zu rascheln
und schon ist der Bann gebrochen, worauf offensichtlich alle anderen
Plastiktüten gewartet haben. Jetzt könnte man in der sonst noch reglosen
Dunkelheit den gespenstischen Eindruck gewinnen, alle Plastiktüten hätten sich
gegen ihre Besitzer verschworen, würden sich nun verselbständigen und gleich
auf ein geheimnisvolles Kommando hin die Herberge verlassen, um allein nach
Santiago zu flattern. Schon nach kurzer Zeit quietscht ständig auch die Tür zum
Waschraum. Dumpfe Laute künden davon, dass die Schlafsäcke mit Gewalt in ihre
Übersäcke gestoßen werden, und schon — noch hat niemand Licht gemacht —
schleichen schemenhafte Profile mit Stöcken und Rucksäcken an meinem Bett
vorbei und zur Türe hinaus. Draußen beginnt ein neuer Tag auf dem Camino.
Reflexionen
über Jakobus und Ansichten über Schinken
Auch wir
verlassen Roncesvalles schon beim ersten Morgenschimmer, so dass wir fast das alte
Pilgerkreuz gleich nach dem Kloster übersehen. Immerhin ist in dessen Sockel
ein Königspaar eingemeißelt, nämlich Sancho VII., der Starke, König von
Navarra, und seine Gemahlin Clementia, eine Tochter Kaiser Friedrich
Barbarossas. Sancho soll der beste Ritter seiner Zeit gewesen sein und mit
einer Körpergröße von zwei Metern fünfundzwanzig der stärkste Mann ohnehin. Es
war im übrigen dieses Königspaar, das die Stiftskirche von Roncesvalles, in der
wir gestern Abend die Pilgermesse gefeiert haben, um die Wende vom 12. zum 13.
Jahrhundert gestiftet und mit dem Bau begonnen hat. Er und seine Gemahlin sind
dort beigesetzt. Gestern standen wir noch vor ihrem Grab. Aber jetzt, in dieser
frühen Morgenstunde, müssen wir mit unserer Taschenlampe versuchen, dieses alte
und mit Flechten überzogene Kreuz zu entziffern.
Ein fast
frostiger Wind von den Pyrenäen bläst uns heute Morgen in den Rücken, wir sind
noch auf etwa 950 Metern Höhe. Bei solchen Temperaturen kommt man aber gut
voran. Bis Burguete gehen wir auf einem Waldweg, in Burguete müssen wir nach
der Kirche rechts abbiegen. Als wir durch das in dieser frühen Morgenstunde
noch schlafende Dorf laufen, fällt mir ein, dass sich hier vor vielen Jahren —
so erzählt er es in seinem Roman „Fiesta“ — Hemingway mit einem Kumpanen im
einzigen Gasthof einquartiert hatte, weil sie für ein paar Tage zum
Forellenfischen wollten. Und da hatte es mit der „dicken Wirtin“ einen Disput
gegeben, weil ihnen das Zimmer zu teuer erschien. Als die Wirtin, um die beiden
Kerle zu beschwichtigen, daraufhin erklärte, dass der Wein, den sie trinken
würden, im Preis inbegriffen sei, war das Gefeilsche sofort zu Ende und die
beiden Herren, die einzigen Gäste übrigens, schienen sehr zufrieden. Die dicke
Wirtin saß allerdings in der Falle. Zu vorgerückter Stunde kam sie noch einmal
in die Gaststube, um die leeren Flaschen zu zählen. Es waren sicherlich viele,
auch wenn Hemingway in seinem Roman dazu keine Zahlenangaben macht.
Die Sonne
ist zwischenzeitlich aufgegangen und steht, da wir ja meist westwärts laufen,
in unserem Rücken. Auf einem hellen Sandweg, durch ein Weideland wandernd,
amüsieren wir uns über die grotesk langen Schatten, die wir zu dieser frühen
Morgenstunde mit unseren Rucksäcken werfen. Lange, dünne Schattenriesen auf dem
Weg nach Santiago.
Wir
überqueren ein paar klare Bergbäche, darunter den Urrobi, und sehen überall im
Wasser Forellen stehen. Nach Espinal wird der Weg schmaler und holpriger, auch
steigt er wieder an. Der kühle Morgenwind von den Bergen hat sich gelegt, die
Sonne lässt uns zunehmend ihre Kraft fühlen, der Himmel ist wolkenlos. Immer
häufiger laufen wir jetzt durch kleinwüchsige Wälder, Buchen und verkrüppelte
Eichen dominieren, aber es gibt auch Haselnusssträucher, Heckenrosen, an denen
die Hagebutten leuchten und Brombeerranken, vollbehangen mit reifen Früchten.
Der Schatten, den diese eher karge Vegetation wirft, reicht nicht aus. Ich habe
längst meinen Pullover ausgezogen und mein Hemd ist dennoch durchgeschwitzt.
Schon jetzt
kann man beobachten, was sich auch später immer wieder zeigen wird: Die Pilger
gehen meist nur kurze Strecken in Gruppen oder Grüppchen, überwiegend sieht man
sie alleine, allenfalls in Paaren
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