Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
P rolog
Südfrankreich
Sonnabend ,14. Juli
Die Nebelschwaden des brume , die gegen Abend über das Meer ganz sacht herangezogen waren und den Strand plötzlich in eine überraschende Kühle getaucht hatten, lichteten sich langsam. Der Himmel zeigte über dem Wasser schon wieder das intensive Blau, mit dem der Tag bis zum späten Nachmittag alles in das Licht des midi, der sanften Mittelmeerregion Südfrankreichs getaucht hatte. Der wabernde Dunst hatte sich wieder aufgelöst. Es würde eine warme, klare Julinacht werden.
Brigitte sah in den Spiegel und war mit dem, was sie dort erblickte, endlich zufrieden. Die zwei Monate hier in der Sonne hatten ihre Haut gebräunt und ihre grünen Augen wurden dadurch betont. Ebenso wie das Weiß ihrer Zähne, wie sie bei einem Probelächeln erfreut feststellte. Ihr Haar schimmerte honigfarben und lebendig. Alles an ihr sprühte vor Lebensfreude. Es war Nationalfeiertag heute in Frankreich und sie hatte sich in den Landesfarben angezogen – ein weißes Trägershirt, einen kurzen blauen Rock, der ihre langen Beine betonte, und einen breiten roten Gürtel. Sogar die Schnalle in Form eines Löwenkopfes passte sich an das französische Wappentier an.
Gleich würde sie die anderen treffen. Und Jean-Pierre. Sie wollten zusammen zum Bummeln an den Hafen hinunter und später das Feuerwerk erleben. Ein willkommener Anlass um Jean-Pierre näherzukommen, sprühende Sterne am dunklen Himmel, die sich über sie ergießen würden, Licht, das sich im tiefschwarzen Wasser vor ihnen spiegeln würde. Sie liebte Feuerwerke.
Endlich, Brigitte , dachte sie, endlich der Mann, auf den du einundzwanzig Jahre, dein ganzes Leben, gewartet hast. Und das gerade jetzt, wo sie so eine Entdeckung gemacht hatte! Als sie vorhin ihren Vater angerufen hatte, hatte er auch gleich elektrisiert reagiert.
» Meinst du wirklich, sie ist echt? Das wäre sensationell, Brigitte! Ich kann es nicht glauben. Du wächst wirklich in das Geschäft hinein, entwickelst die richtige Spürnase. Also, viel Glück, meine tolle Tochter!«
Das hatte ihr ein wohl iges Gefühl vermittelt, Stolz vermischt mit Liebe. Eine Mischung, die sich wunderbar anfühlte.
Ihr Nachbar klopfte an die Tür ihres Caravans.
» Brigitte, tu es là? « Sein freundliches, breites Gesicht schaute um die Ecke. „Was machst du heute Abend? Feuerwerk?« fragte er in breitem Languedoc.
» Mais oui, Henri , und mit den anderen. Das wird sicher une grande fête .«
Er sah ihre Tricolore-Aufmachung und schnalzte anerkennend mit der Zu nge. Seine schon altersblassen Augen strahlten. » Très jolie .« Sehr hübsch.
Als Henri fort war, hängte sie sich ihre Tasche um und schloss hinter sich die Tür ab. Blinzelte in die Abendsonne und seufzte zufrieden.
Kapitel 1
Sonntag, 15. Juli
Lene hörte das Klopfen an der Tür ihres Wohnwagens und war sofort hellwach. Ein Klopfen hier mitten in der Nacht war so ungewöhnlich, dass sie sofort alarmiert war. Hat Karl einen Zuckerschock, braucht er einen Arzt? waren ihre ersten Gedanken, als sie schon nach ihrem Pareo griff und die Tür öffnete. Sie sah in das verstörte Gesicht von Henri.
» Lene, viens vite! Du musst schnell kommen. Es ist …«
Seine Augen füllten sich mit Tränen und sie sah das Entsetzen darin. Der alte Mann fing an zu zittern.
» Was, Henri, was? «
» Brigitte – elle est morte! «
Brigitte tot? „Was ist passiert, Henri?«
Er zog seinen Bademantel wie zum Schutz um sich.
» Ich bin gerade aufgewacht und wollte zum Klo. Da bemerkte ich, dass die Tür ihres Caravans weit offen stand und das Licht brannte. Und als ich genauer hinsah, lag jemand quer vor dem Eingang. Man sah aber nur das Bein. Brigitte? Ich bin sofort hin und da lag sie – erwürgt mit einem Tuch! Es war grauenhaft! Ich habe noch nach dem Puls gefühlt, aber da war nichts. Man sah, dass sie tot war. Die Augen … Ruf du die Polizei. Mon Dieu , es ist furchtbar. Pauvre Brigitte .«
Das war auch Lenes erster Gedanke - arme Brigitte. Sie sah sie vor sich, wie sie ihr heute Morgen noch fröhlich zugewinkt hatte.
Aus Gewohnheit schaute sie auf ihre Uhr. 3:47 präzise. Gestern Morgen also, korrigierte sie sich. Wenn Henri sagte, sie wäre tot, konnte sie davon ausgehen, dass es stimmte. Henri war pompier , Feuerwehrmann, gewesen.
Sie griff sich ihr Handy und rief den Notruf an, i nformierte die Polizei, was passiert war und wo sie sich befanden. Sie fragte Henri nach der Nummer von
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