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Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watt
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den gewaltigen Erdwällen des Feindes standen. Im Schutze der eisigen Wüstennacht führte Lieutenant Duffy seine Hochländer, die im schottischen Kilt marschierten, unter dem kristallklaren Sternenhimmel gegen den Feind. Während er neben seinen Männern herging, wanderten seine Gedanken zu dem, was vor ihm lag. Doch die Vergangenheit ließ ihn nicht los.
    Im Alter von elf Jahren hatte er Sydney gemeinsam mit seiner Großmutter mütterlicherseits, der gefürchteten Lady Enid Macintosh, verlassen, um im Londoner Haus der Macintoshs zu leben. Dass sie ihn unter ihre Fittiche nahm, war nur durch einen Pakt möglich geworden, den sie Jahre vorher in Sydney mit seinem Vormund, Daniel Duffy, geschlossen hatte.
    Angeblich war der junge Katholik Patrick Duffy der streng protestantischen Lady Enid Macintosh anvertraut worden, damit er in den besten Schulen Englands erzogen werden konnte. Ihr wirkliches Motiv war jedoch reiner Eigennutz: Er sollte darauf vorbereitet werden, seine Stelle als legitimes Oberhaupt des Finanzimperiums der Macintoshs einzunehmen. Da durch seine Familie mütterlicherseits Macintosh-Blut in seinen Adern floss, sollte er als Gegengewicht zu Granville White und der eigenen Mutter, Fiona White, geborene Macintosh, wirken.
    Allerdings würde Lady Macintosh niemals einen Papisten an der Spitze des stolzen protestantischen Clans dulden. Sie war davon überzeugt, dass eine englische Erziehung mit der Zeit schon dafür sorgen würde, dass er die Schlüssigkeit ihres Glaubens erkannte.
    Daniel Duffy hielt den Gedanken, dass sich Patrick am Ende für ihre Religion entscheiden würde, für lächerlich. Er war katholisch getauft worden, und Katholik würde er bis zu seinem Ende bleiben.
    Enid hatte nicht mit dem natürlichen Charme des Jungen und ihren bislang unterdrückten großmütterlichen Gefühlen gerechnet. Mit der Zeit hatte sie gelernt, Patrick wie eine Mutter zu lieben. Er hatte die Lücke gefüllt, die der Tod ihres geliebten Sohnes David gerissen hatte. Ihre Angst, Patrick zu verlieren und völlig zu vereinsamen, war so groß, dass sie ihn nicht zu einer Entscheidung zwischen seiner irischkatholischen und seiner schottischprotestantischen Seite drängte. Eines Tages würde er seine Wahl ohnehin treffen müssen, wenn er seinen angestammten Platz an der Spitze des Macintosh-Imperiums einnehmen wollte. Zumindest konnte er in der Armee der Königin seinem wilden irischen Blut in der Hitze der Schlacht freien Lauf lassen.
    Während er mit seinen Männern ins Gefecht zog, wurde Patrick bewusst, dass er sich zwischen der Liebe von Lady Enid auf der einen und der seiner irischen Familie auf der anderen Seite entscheiden musste. Ihm bot sich die beneidenswerte Chance, eines der größten Vermögen des Empire zu erben – doch würde er vermutlich die Wertschätzung von Daniel und dessen Familie verlieren. Im Augenblick aber, rief er sich selbst grimmig zur Ordnung, war die Wahrscheinlichkeit größer, dass er getötet oder verstümmelt wurde. Jeder Gedanke an Vergangenheit und Zukunft wurde von seiner wachsenden Furcht verschlungen, als sich die Hochländer dem Feind näherten.
    Würde er plötzlich wie ein Feigling von Panik gepackt werden und davonlaufen? Würde er vor Schreck erstarren und als Offizier versagen? Würde er …
    Der Horizont färbte sich rot wie bei einer verfrühten Morgendämmerung. Die Soldaten marschierten schweigend dahin, doch im Stillen fragten sie sich, warum ihre Offiziere nicht dafür gesorgt hatten, dass sie den Feind vor Sonnenaufgang erreichten.
    Auch Sir Garnet Wolseley war von der unerwartet frühen Morgendämmerung überrascht worden, doch man hatte ihm erklärt, es handle sich um ein astronomisches Phänomen: den Widerschein eines Kometenschweifs, der direkt unter dem Horizont vorüberziehe.
    Direkt vor dem Morgengrauen riss sporadisches Feuer von Posten jenseits der ägyptischen Gräben Patrick aus seinen Gedanken. Dann war die Luft plötzlich vom ohrenbetäubenden Lärm der Gewehre erfüllt, die eine Feuerwand in die Dunkelheit sprühten. Wolseley schickte seine Armee gegen die ahnungslosen ägyptischen Rebellen. Überall entlang der ägyptischen Verteidigungslinie blitzte Mündungsfeuer auf, und die Hörner der Briten bliesen zum Angriff.
    Später erinnerte sich Patrick an das Gefühl der Erleichterung, als sich die aufgestaute, überwältigende Angst in Gewehrsalven entlud. Nachdem er seine anfängliche Erstarrung überwunden hatte, konzentrierten sich die Gedanken des

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