Auf den Flügeln des Adlers
Augen des jungen Mannes, als er an Granville White dachte. Aber er wollte keine Zeit auf den Mann verschwenden, den seine Großmutter für die Ermordung seines ihm unbekannten Onkels verantwortlich machte. Heute hatte er von seinem Regiment Urlaub erhalten, um das Dorf zu besuchen, aus dem die Familie Duffy geflohen war – kaum sechs Stunden, bevor der Haftbefehl für seinen Großvater väterlicherseits erging. Zumindest hatte ihm das Tante Bridget erzählt, als er ein kleiner Junge war und im Erin lebte.
Seufzend schlug Patrick den Mantelkragen hoch, um sich gegen den bitterkalten Wind zu schützen. Auf einen Stock gestützt, beobachtete eine in ein zerlumptes Umschlagtuch gehüllte alte Frau den gut gekleideten jungen Mann, der schweigend am Fuß von Mollys Grab stand. Es kam ihr so vor, als wäre der selige Patrick Duffy selbst in sein Dorf zurückgekehrt. Mit abergläubischer Ehrfurcht betrachtete sie das Ebenbild eines Mannes aus einer anderen Zeit.
Als junges Mädchen hatte Mary Casey gemeinsam mit Molly die verhassten englischen Soldaten, die ihr Land besetzt hielten, in mehr als einen Hinterhalt gelockt. Beide hatten dem gut aussehenden, wilden Patrick Duffy nachgestellt.
Doch der junge Rebell hatte nur Augen für die protestantische Tochter eines angloirischen Großgrundbesitzers, die ihn mit in ihr Bett nahm. Um dieselbe Zeit sandte der Magistrat seine Lakaien aus, um Molly wegen aufrührerischen Verhaltens verhaften zu lassen. Als Vierzehnjährige wurde sie in die tödliche Verbannung nach Neusüdwales geschickt.
Mary Casey lebte als Haushälterin des jungen Priesters im Pfarrhaus des Dorfes. Vater Eamon O’Brien, der Nachfolger von Vater Clancy, war erst vor kurzem ordiniert worden. Er war nicht in Irland geboren und benahm sich mit seiner englischen Erziehung verdächtig ausländisch. Er verbrachte auffallend viel Zeit an den alten Kultstätten, wo die keltischen Druiden einst ihre blutigen Rituale vollzogen hatten. Man hatte ihn sogar sagen hören, der wahre Glaube sei in Irland mit den alten Religionen verschmolzen.
Alte Religionen! Blasphemie war das! Mary schauderte. Allerdings nicht vor Kälte, sondern bei der Erinnerung daran, wie sich der junge Mann höflich als Patrick Duffy vorgestellt und nach Mollys Grab gefragt hatte. »Jesus, Maria und Josef!«, hatte sie, von abergläubischer Furcht gepackt, hervorgestoßen und sich zum Schutz gegen böse Geister bekreuzigt. Er war leibhaftig aus jenem dürren Land jenseits des Ozeans von den Toten zurückgekehrt!
Ihre Reaktion auf seine Frage hatte Patrick überrascht. Aber woher hätte er wissen sollen, wie sehr er seinem Großvater väterlicherseits glich, und dass die Furcht der alten Frau durch ihren keltischen Aberglauben ausgelöst worden war? Wortlos humpelte sie zu dem Grab und deutete mit ihrem Stock auf das Steinkreuz.
Eine Böe vom grauen Atlantik ließ den kalten Nieselregen um Patricks Beine wirbeln. Kälte war er nicht gewöhnt. Offenbar hatten die jahrelangen Nordafrika-Feldzüge in der Armee der Königin sein Blut ausgedünnt.
Das Soldatenleben schien Lady Enid Macintosh keine geeignete Beschäftigung für ihren einzigen Enkel, der sich entschlossen hatte, seine Studien in Oxford aufzugeben. Energisch hatte sie sich dagegen verwahrt, dass er als Offizier zur Armee ging, dann jedoch widerwillig nachgegeben, als er sich einem schottischen Hochlandregiment anschloss.
Das Leben eines Gelehrten interessierte Patrick nicht. Ihn trieb eine merkwürdige, unerklärliche Sehnsucht, zu reisen und an den verlassensten Orten der Erde nach sich selbst zu suchen. Zudem wollte er nur ungern nach Australien zurückkehren, wo er sich zwischen seinen beiden Familien hätte entscheiden müssen. Welche Wahl er auch träfe, er hätte eine Hälfte seiner Abstammung verleugnen müssen.
Als junger Lieutenant war er im ägyptischen Tel-el-Kibir in seine ersten Kampfhandlungen verwickelt worden. Obwohl der Feldzug zum Schutz des strategisch wichtigen Suezkanals, der von ägyptischen Rebellen eingenommen worden war, bereits drei Jahre zurücklag, suchte der Lärm der erbitterten Kämpfe Patrick immer noch in seinen Träumen heim.
Die Ägypter hatten quer zu der Route, auf der die britischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl von General Sir Garnet Wolseley vorrückten, einen riesigen Graben ausgehoben. Siebzehn hitzeglühende Tage lang war Lieutenant Patrick Duffy mit seiner Hochlandinfanterie durch die endlose ägyptische Wüste marschiert, bis sie vor
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