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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Stöckelschuh, als könnte der Parkplatz Feuer fangen, und legte die Einkäufe in den Kofferraum des Wagens, der so gar nicht zu einer Blondine passt, nicht mal zu einer gefärbten. Ich dachte, irgendwann bin ich auch so eine Frau, müde und leicht weggetreten und überzeugt, dass alles nur noch schlimmer wird. Sie verschwand zur Hälfte im dunklen Maul des Kofferraums und kam wieder daraus hervor, die Sonne war so groß wie der ganze Himmel, und aus irgendeinem Grund fiel dieser Handschuh auf den Boden, ein weißer Baumwollhandschuh, und sie bemerkte es nicht, stieg ein und blieb sitzen, als habe sie vergessen, wie man ein Auto startet. Da wäre ich fast zu ihr hingegangen. Ich wollte den Handschuh aufheben und ihr geben, durch das offene Fenster, ohne ein Wort und ohne die Sonnenbrille abzunehmen. (Eben ist ein Pferd am Fenster vorbeigegangen, ein schneeweißes!) Den Handschuh habe ich eine Weile mit mir herumgetragen, zusammengeknüllt in der Hosentasche. Manchmal, wenn es mir egal war, dass ich mich vor mir selber blamierte, habe ich ihn übergestreift. Er war schmutzig, voller Flecken, und am Ringfinger klaffte ein Loch. Wahrscheinlich hat sie ihn benutzt, wenn sie ein Rad wechseln musste, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass sie so etwas jemals selber gemacht hat. Weißt du noch, wie Dad mein Fahrrad gebaut hat? Den Rahmen aus den Rohren eines Absperrgitters, den Lenker aus dem alten Heuwender, die Schutzbleche aus Regenrinnen, die Griffe aus Gartenschlauch. Den Rest hat er vom Sperrmüll zusammengesucht, die Räder, die Kette, die Pedale. Dreckige Hände waren ihm egal. Er hat es mir einfach so geschenkt, nicht an meinem zehnten Geburtstag, nicht zu Weihnachten, mitten im Sommer stellte er es neben mein Bett, damit ich am Morgen dachte, ich würde noch träumen. Aber mir beigebracht, wie man mit dem Rad fährt, hat er nie, das musstest dutun, Brüderchen. Du warst auch dafür zuständig, mir zu zeigen, wie man auf einen Baum klettert und wieder runterkommt, wie man bei Tesco Kaugummi klaut, ohne erwischt zu werden, wie man eine Bierflasche mit einem Geldstück öffnet und wie man auf einem Hügel sitzt, die Welt ihr Ding machen lässt und einfach mal die Klappe hält. Den Handschuh habe ich irgendwann verloren. Dad hat nie Handschuhe getragen, seine Haut war rauh und voller Risse, aus denen Farne wuchsen und Efeu. Warum sie ihn wohl geheiratet hat? Nur damit ich nicht unehelich zur Welt kam? (Das Pferd ist wieder da, du solltest es sehen, es ist der alte Sam, zurückgekehrt im weißen Leichenhemd, eine strahlende Schönheit!) Bist du glücklich, Tobey? Erinnerst du dich, als wir ans Meer gefahren sind, ich zum allerersten Mal? Einen gelben Strohhut hatte ich auf und eine Sonnenbrille aus Pappe und getönter Plastikfolie. Onkel Aidan hat uns nach Glenbeigh gebracht in seinem Auto, und ich habe einen Eimer mit Muscheln gefüllt, als müsste ich den ganzen Strand davon befreien. Am Abend habe ich im Bett gelegen und ein Schneckengehäuse verschluckt, ein winziges, zerbrechliches Kunstwerk, gedreht wie die Eiskrem, die es aus einer Maschine beim Parkplatz gab. Verschluckt, weil ich wusste, das Gehäuse würde kaputtgehen oder ich würde es irgendwann verlieren. Für eine Sekunde spürte ich das Salz auf der Zunge, dann war alles vorbei, das Gefühl, der Tag am Strand, der Sommer. Was ist dein Lieblingssong? Vermisst du mich manchmal? Hasst du mich für das, was ich getan habe? Wenn ich alleine bin und alles still ist um mich herum, höre ich, wie du meinen Namen durch das Haus, über den Hof, über ein Feld blökst. Dann tut es mir einen furchtbaren Stich ins Herz und ich flüstere: Toto … Bevor ich anfange zu heulen und dummes Zeug zu schreiben, höre ich besser auf. Ich schicke diesen Brief, wie die anderen auch, an Barry und hoffe, sie erreichen dich.
     
    Wer liebt dich?
    Megan!

 
    2
     
    Tobey hatte kaum geschlafen. Seine Knochen taten weh vom Liegen auf der harten Werkbank, etwas hatte ihn gestochen, und der linke Handrücken war geschwollen und juckte. Immerhin war es ein wenig kühler geworden, eine Brise strich über die Insel und ließ die Baumwipfel leise rauschen. Während Tobey die Schlafmatte zusammenfaltete, fragte er sich, ob die beiden Männer noch in der Nähe waren. Er dachte an die helle, unbekümmerte Stimme des Jungen und den monotonen Bass des Alten und redete sich ein, sie seien Fischer und hätten die Insel schon vor Sonnenaufgang verlassen und würden, wenn überhaupt, nicht vor

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