Auf den Schwingen des Adlers
Mitarbeiter Schreibmaschinen und Telefone bedienten. Die Vorhänge an der Glastür zog Coburn nie zu. Es war kalt. Es war immer kalt. Tausende von Iranern streikten, die Stromversorgung der Stadt war häufig unterbrochen, und fast jeden Tag fiel die Heizung für mehrere Stunden aus.
Coburn war ein großer, breitschultriger Mann, einsachtzig groß und neunzig Kilo schwer. Sein rotbraunes Haar war seiner Stellung gemäß kurz geschnitten, sorgfältig gekämmt und gescheitelt. Obgleich er erst zweiunddreißig Jahre alt war, sah er eher aus wie vierzig. Bei näherer Betrachtung verrieten jedoch das attraktive, offene Gesicht und das rasche Lächeln sein wahres Alter; er besaß eine gewisse frühe Abgeklärtheit, das Aussehen eines Mannes, der zu schnell erwachsen geworden war.
Sein ganzes Leben lang hatte er sich Verantwortung aufbürden lassen: in seiner Kinderzeit, als er im Blumenladen seines Vaters mitarbeitete; mit zwanzig als Hubschrauberpilot in Vietnam; als junger Ehemann und Vater; und nun als Personalchef, der für die Sicherheit von 131 amerikanischen Angestellten und deren 220 Familienangehörigen zuständig war – und das in einer Stadt, in der der Mob die Straßen regierte.
Wie jeden Tag, so telefonierte er auch heute in ganz Teheran herum und versuchte herauszufinden, wo gerade Kämpfe stattfanden, wo sie wohl demnächst ausbrechen würden und wie die Aussichten für die kommenden Tage waren.
Mindestens einmal täglich rief er die amerikanische Botschaft an, deren Auskunft rund um die Uhr besetzt war. Amerikaner aus ganz Teheran pflegten dort Demonstrationen und Aufstände zu melden, und die Botschaft gab dann weiter, welche Stadtteile tunlichst zu meiden waren. Was jedoch ihre Ratschläge und Prognosen betraf, so fand Coburn sie nahezu nutzlos. Bei den wöchentlich stattfindenden Informationstreffen, an denen er stets getreulich teilnahm, bekam er jedesmal das gleiche zu hören: Amerikaner sollten sich nach Möglichkeit im Hause aufhalten und Menschenansammlungen um jeden Preis fernbleiben, der Schah habe jedoch alles unter Kontrolle, so daß derzeit noch keine Evakuierung angeraten sei. Coburn verstand ihr Dilemma: Verkündeten die Amerikaner, daß der Pfauenthron wackelte, so würde der Schah mit Sicherheit gestürzt. Die Botschaft war bei ihren Äußerungen jedoch dermaßen vorsichtig, daß sie fast überhaupt keine Informationen mehr lieferte.
Mit diesem Zustand unzufrieden, hatten die amerikanischen Geschäftsleute in Teheran ihr eigenes Informationsnetz aufgebaut. Die größte US-Firma in der Stadt war Bell Helicopter, deren hiesige Niederlassung von einem Generalmajor a. D., Robert N. MacKinnon, geleitet wurde.MacKinnon verfügte über einen erstklassigen Nachrichtendienst und gab alle seine Erkenntnisse weiter. Außerdem kannte Coburn einige Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes, und auch die rief er an. Heute war es in Teheran relativ ruhig: Größere Demonstrationen fanden nicht statt. Die letzten ernst zu nehmenden Unruhen hatte es vor drei Tagen gegeben, am zweiten Dezember, dem ersten Tag des Generalstreiks, an dem den Meldungen zufolge siebenhundert Menschen getötet worden waren. Soweit Coburn informiert war, konnte man damit rechnen, daß die Ruhe bis zum zehnten Dezember, dem islamischen Feiertag Aschura, anhielt.
Coburn dachte mit Sorge an Aschura. Der islamische Winterfeiertag war überhaupt nicht mit Weihnachten zu vergleichen. An diesem Fasten- und Trauertag zum Gedenken des Todes von Hussein, dem Enkel des Propheten, herrschten Reue und Zerknirschung. Massendemonstrationen würden stattfinden, in deren Verlauf die streng Gläubigen sich selber peitschten. In solch einer Atmosphäre kam es schnell zum Ausbruch von Hysterie und Gewalt.
Coburn befürchtete, dieses Mal könnten sich die Ausschreitungen gegen die Amerikaner richten. Eine Reihe häßlicher Zwischenfälle hatte ihn überzeugt, daß die Ressentiments gegen Amerikaner rasch um sich griffen. Unter seiner Tür hatte jemand eine Karte mit den Worten »Wenn Dir Leib und Leben lieb sind, verschwinde aus dem Iran!« durchgeschoben. Freunde von ihm hatten ähnliche Postkarten erhalten. An die Mauer seines Hauses hatten irgendwelche Sprühdosenkünstler geschrieben: »Hier wohnen Amerikaner.« Der Bus, der seine Kinder in die amerikanische Schule Teherans brachte, war von der demonstrierenden Menge angehalten und fast zum Umkippen gebracht worden. Andere EDS-Mitarbeiter waren auf der Straße angepöbelt, ihre Autos
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