Auf den Schwingen des Adlers
Manager, und häufig schien es, als schüfen sie Probleme, statt sie zu lösen. Am EDS-Stammsitz in Dallas, Texas, wurde von den Mitarbeitern nicht nur erwartet, Unmögliches möglich zu machen – normalerweise sollte es auch schon gestern erledigt worden sein. Hier im Iran hingegen war alles zuerst einmal unmöglich und auf jeden Fall nicht vor farda zu bewerkstelligen – wobei farda üblicherweise mit »morgen« übersetzt wurde, in der Praxis jedoch »irgendwann in der Zukunft« hieß.
Paul war die Schwierigkeiten auf seine Art angegangen: mit Entschlossenheit und harter Arbeit. Er war kein Intellektueller. Als Kind war ihm die Schule schwergefallen, doch sein italienischer Vater mit seinem für Einwanderer typischen Glauben an die Allmacht einer guten Ausbildung hatte ihn zum Lernen gezwungen, und Paul hatte gute Noten nach Hause gebracht. Und diese simple Hartnäckigkeit war ihm seither stets zustatten gekommen. Er konnte sich noch gut an die Gründungszeit bei EDS Amerika in den sechziger Jahren erinnern, als es bei jedem neuen Auftrag ums Ganze ging. Er hatte mitgeholfen, aus EDS einen der dynamischsten und erfolgreichsten Konzerne der Welt zu machen, und war sich absolut sicher gewesen, daß auch das Iran-Projekt den gleichen Weg nehmen würde, besonders seitdem Jay Coburn inseinen Anwerbungs- und Lehrprogrammen mehr und mehr Iraner ausbildete, die für Management-Positionen geeignet waren.
Er hatte sich geirrt, und erst jetzt ging ihm allmählich auf, warum.
Als er im August 1977 mit seiner Familie in den Iran gekommen war, war der Ölboom bereits vorüber. Der Regierung ging langsam das Geld aus. Im selben Jahr erhöhte das Anti-Inflationsprogramm die Zahl der Arbeitslosen, und eine schlechte Ernte trieb gleichzeitig noch mehr hungernde Bauern in die Städte. Das tyrannische Regime des Schahs wurde durch die Menschenrechtspolitik des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter geschwächt. Die Zeit war reif für politische Unruhen.
Eine Zeitlang hatte Paul von der hiesigen Politik kaum Notiz genommen. Er wußte, daß die Unzufriedenen hier und da Krach schlugen, aber das kam schließlich in jedem Land der Welt vor, und außerdem schien der Schah die Zügel fest in der Hand zu haben. Die Bedeutung der Ereignisse im ersten Halbjahr 1978 entging Paul – wie im übrigen auch dem Rest der Welt.
Am siebten Januar publizierte die Zeitung Etela’at einen unflätigen Angriff auf einen im Exil lebenden Geistlichen – den Ayatollah Khomeini –, in dem unter anderem behauptet wurde, er sei homosexuell. Tags darauf inszenierten aufgebrachte Theologie-Studenten in der Stadt Ghom, die etwa 130 km von Teheran entfernt lag und das Haupt und Zentrum religiöser Bildung im Lande war, einen Sitzstreik, der von Militär und Polizei brutal auseinandergeknüppelt wurde. Die Konfrontation eskalierte, und an den beiden folgenden Tagen wurden siebzig Menschen getötet. Nach islamischer Tradition organisierte die Geistlichkeit vierzig Tage später eine Gedenkprozession für die Toten, bei der es wiederum zu gewaltsamen Zusammenstößen kam, und der neuen Toten wurde wiederum vierzig Tage später mit einer neuerlichen Prozession gedacht ...In den ersten sechs Monaten dieses Jahres stieg die Zahl der Prozessionen, stieg die Zahl der Teilnehmer, stieg auch die Gewalttätigkeit.
Im nachhinein erkannte Paul, daß mit der Bezeichnung »Trauerprozessionen« lediglich das Demonstrationsverbot des Schahs umgangen worden war. Damals jedoch war er gar nicht auf den Gedanken gekommen, es könne sich dabei um das Entstehen einer politischen Massenbewegung handeln. Und auch sonst war niemand auf den Gedanken gekommen. Im August desselben Jahres machte Paul ebenso wie William Sullivan, US-Botschafter im Iran, in den Staaten Urlaub. Paul hatte ein Faible für jegliche Art von Wassersport, und so fuhr er mit seinem Vetter Joe Porreca zu einem Wettangeln nach Ocean City, New Jersey, während seine Frau Ruthie mit den Töchtern Karen und Ann Marie ihre Eltern in Chicago besuchte. Paul war beunruhigt, weil das Gesundheitsministerium die Juni-Rechnung von EDS noch nicht bezahlt hatte; aber da es nicht zum erstenmal geschah, daß es mit einer Zahlung in Verzug geriet, hatte Paul die Angelegenheit seinem Stellvertreter Bill Gaylord überlassen, fest davon überzeugt, daß Bill das Geld schon eintreiben würde.
Während seines USA-Aufenthaltes kamen schlechte Nachrichten aus dem Iran. Am siebten September wurde das Land unter Kriegsrecht gestellt,
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