Auf den Schwingen des Adlers
»Ihr wurde ausdrücklich befohlen, niemandem etwas davon zu sagen. Sie kam zu mir, um sich Rat zu holen. Natürlich mußte ich Ihnen Bescheid sagen. Aber ich fürchte, sie wird ernsthaft in Schwierigkeiten geraten.«
»Moment mal«, sagte Coburn. »Sehen wir uns erst mal die Hintergründe an. Wie fing es eigentlich an?«
»Heute vormittag hat sie einen Anruf der Polizei, Abteilung Aufenthaltsgenehmigungen für Amerikaner,erhalten. Sie wurde gebeten, hinzukommen. Sie sagten, es ginge um James Nyfeler. Farah dachte, es sei eine Routineangelegenheit. Um 11.30 Uhr kam sie in das Büro und sprach mit dem Leiter der amerikanischen Abteilung. Erst fragte er nach Mr. Nyfelers Paß und Aufenthaltsgenehmigung. Sie sagte ihm, daß Mr. Nyfeler nicht mehr im Iran sei. Dann fragte er nach Paul Bucha. Sie sagte, Mr. Bucha sei ebenfalls nicht mehr im Lande.«
»Das hat sie gesagt?«
»Ja.«
Bucha war im Iran. Aber vielleicht wußte das Farah gar nicht, dachte Coburn. Bucha war hier ansässig gewesen, hatte das Land verlassen und war für kurze Zeit zurückgekommen. Morgen sollte er wieder nach Paris fliegen.
Madjid berichtete weiter: »Dann sagte der Polizist: ›Ich nehme an, die beiden anderen sind auch fort?‹ Farah sah, daß er vier Akten auf seinem Schreibtisch liegen hatte, und fragte, welche beiden anderen er meine. Er sagte, Mr. Chiapparone und Mr. Gaylord. Sie antwortete, sie hätte erst heute morgen Mr. Gaylords Aufenthaltsgenehmigung abgeholt. Der Polizist befahl ihr, die Pässe und Aufenthaltsgenehmigungen sowohl von Mr. Gaylord als auch von Mr. Chiapparone zu holen und zu ihm zu bringen. Sie solle es heimlich tun und keinen Alarm schlagen.«
»Was hat sie geantwortet?« fragte Coburn.
»Sie sagte ihm, heute könne sie die Papiere nicht mehr bringen. Da befahl er ihr, sie morgen früh zu bringen. Er sagte, er mache sie offiziell dafür verantwortlich, und er sorgte dafür, daß bei seinen Anordnungen Zeugen zugegen waren.«
»Das klingt total unsinnig«, meinte Coburn.
»Wenn sie erfahren, daß Farah ihnen nicht gehorcht hat ...«
»Wir werden uns was ausdenken, um sie zu schützen«, sagte Coburn. Er fragte sich, ob Amerikaner eigentlichdazu verpflichtet waren, ihre Pässe auf Verlangen der Polizei auszuhändigen.
»Warum sie diese Pässe haben wollen, sagten sie nicht?«
»Nein.«
Bucha und Nyfeler waren die Vorgänger von Chiapparone und Gaylord. Hatte das etwas zu bedeuten?
Coburn wußte es nicht.
Er stand auf. »Zuerst einmal müssen wir entscheiden, was Farah der Polizei morgen früh erzählen soll«, sagte er. »Ich rede jetzt mit Paul Chiapparone und melde mich dann wieder bei Ihnen.«
*
Im Erdgeschoß des Gebäudes saß Paul Chiapparone in seinem Büro. Auch hier gab es Parkettboden, einen mächtigen Schreibtisch, ein Schahporträt an der Wand und allerhand zum Nachdenken.
Paul war neununddreißig Jahre alt, von mittlerer Größe und ein wenig übergewichtig, was vor allem auf seine Vorliebe für gutes Essen zurückzuführen war. Mit seiner olivfarbenen Haut und seinem dichten schwarzen Haar sah er aus wie ein Italiener. Seine Aufgabe war es, in einem rückständigen Land ein modernes Sozialversicherungssystem aufzubauen. Das war gar nicht leicht.
Zu Beginn der siebziger Jahre hatte der Iran ein primitives Sozialversicherungssystem besessen. Es war jedoch beim Eintreiben der Beiträge völlig ineffizient und darüber hinaus so leicht zu übervorteilen, daß man mehrmals aus ein und derselben Krankheit Gewinn schlagen konnte. Nachdem der Schah beschlossen hatte, einen Teil seiner zwanzig Milliarden Öldollars jährlich auf die Errichtung eines Sozialstaats zu verwenden, bekam EDS den Zuschlag. EDS organisierte die Kranken- und Sozialversicherungen verschiedener Bundesstaaten in den USA, doch im Iran mußten sie praktisch bei Null anfangen. Esgalt für jeden der 32 Millionen Einwohner eine Versicherungskarte auszustellen, Lohnabzüge einzuführen, damit regelmäßig Verdienende ihre Beiträge bezahlten, und die Anträge auf Versicherungsleistungen zu bearbeiten. Das ganze System sollte über Computer laufen – eine Spezialität von EDS.
Im Iran ein EDV-System einzurichten, fand Paul, hatte mit der gleichen Aufgabe in den Staaten ungefähr so viel gemein wie das Kuchenbacken: Hier machte man das auf die althergebrachte Weise und verwendete Originalzutaten, dort nahm man einfach ein Fertigpaket. Oft fühlte er sich frustriert. Die Iraner besaßen nicht die Macher-Mentalität amerikanischer
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