Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Blick hinter die Kulissen der Ermittler-und Profiling-Realität ermöglichen. Überhaupt will ich so wenig wie möglich zwischen den Fällen und Ihnen stehen. Möchte Sie stattdessen durch eine detailreiche und lebendige Beschreibung der Tatumstände sowie der handelnden Personen in meine Gedanken und Rückschlüsse bei den Ermittlungen und bei der Skizzierung von Täterprofilen einbeziehen. Immerhin geht es um ein ebenso wichtiges wie komplexes Thema: das menschliche Verhalten.
Dass Sie nach der Lektüre des Buches allerdings wissen, was das Böse ist, halte ich für unwahrscheinlich. Ich fürchte, es wird eher komplizierter …
Axel Petermann im März 2010
Torso
Wer verstümmelt eine Leiche?
Das neue Jahr hat gerade begonnen, als mehrere Schuljungen in der Mittagszeit auf dem Hof ihrer Schule im Bremer Westen Fußball spielen. Einer von ihnen schießt neben das Tor. Der Ball rollt in die Nähe zweier großer Mülltüten. Doch die sehen gar nicht aus wie normale volle Müllsäcke. Stattdessen erinnern ihre Konturen an die eines menschähnlichen Körpers. Vielleicht eine Schaufensterpuppe? Die Jungen sind neugierig, wollen es genauer wissen. Was sie beim Nähertreten erblicken, lässt sie erstarren. Es ist keine Puppe, sondern der nackte und verstümmelte Körper einer Frau. Die Leiche hat weder einen Kopf noch Hände und Füße.
Ich weiß nicht, wie lange die Jungen so dastanden und voller Entsetzen ihren grausigen Fund anstarrten. Doch einer von ihnen schaffte es irgendwann, zum Hausmeister der Schule zu rennen. Der ließ sich den Fund zeigen und wählte sofort die Nummer der Polizei. Die Notrufzentrale schickte einen Streifenwagen, wenig später sperrten zwei Beamte den Fundort ab, notierten die Personalien der Kinder und des Hausmeisters und informierten die Kriminalbereitschaft, die auch Kriminaldauerdienst (KDD) heißt. Die wiederum benachrichtigte Rechtsmedizin, Staatsanwaltschaft und Erkennungsdienst (ED). Und natürlich die Mordkommission (MK). So landete der Fall vor über fünfundzwanzig Jahren bei mir.
Ich arbeitete damals erst seit etwa drei Jahren in der Mordkommission. Es war mein erster großer Fall, den ich als sogenannter Hauptsachbearbeiter übertragen bekam. Allerdings hatte ich schon einige Erfahrungen bei der Bearbeitung von Tötungsdelikten sammeln können, denn damals hatten wir in Bremen zwischen fünfzehn und zwanzig Fälle im Jahr. Häufig traten sie nach Streitigkeiten innerhalb einer Familie oder Partnerschaft oder nach Alkohol-Exzessen auf.
An jenem besagten Tag wollte ich eigentlich freimachen, doch daraus wurde nichts: Ich musste zum Leichenfundort, um mir aus nächster Nähe ein Bild zu machen und erste Ansätze für die Ermittlung zu finden. Mit meinem Wagen fuhr ich zum inzwischen weiträumig abgesperrten Tatort. Der Fund des Torsos hatte sich bereits wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Zahlreiche Schaulustige und Pressevertreter hofften hinter der Absperrung auf Sensationen und neue Informationen. Der Gerichtsmediziner war schon vor Ort und wartete darauf, die Leiche untersuchen zu können. Die Spurensucher fotografierten die verstümmelte Tote, den Fundort und die nähere Umgebung. Meine Kollegen der MK hatten damit begonnen, Bewohner der angrenzenden Häuser nach auffälligen oder verdächtigen Beobachtungen der letzten Zeit zu befragen.
Kaum dass ich aus dem Wagen gestiegen war, informierte mich ein Kollege über den Sachstand. Anschließend nahm ich den Torso selbst in Augenschein. Womöglich ließen meine Beobachtungen bereits Rückschlüsse auf den Täter zu.
Ein Täter trifft ständig Entscheidungen. Das beginnt bei der Tatplanung, der Auswahl des Opfers, des Tatortes, der Tatzeit, der Tatwaffe, der Form der Tötung und endet mit der Ablage der Leiche. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass sich die meisten Täter nach der Tötung nicht mehr um die Leiche kümmern: Sie lassen sie am Tatort zurück und denken häufig nur an Flucht. Andere Täter, die mir bei meinen Ermittlungen begegnet waren, hatten sich hingegen auf unterschiedliche Art und Weise mit der Leiche beschäftigt: sie zum Beispiel abgedeckt, sich an ihr sexuell vergangen, Gegenstände in Körperöffnungen eingeführt oder sie auch manchmal vom Tatort abtransportiert und an einem anderen Ort abgelegt oder versteckt. Schon ein erster Blick auf die Szenerie verriet mir Folgendes:
Unser Täter hatte sich mit dem Verstecken seines Opfers keine große Mühe gegeben und den Torso keine 20 Meter von einer
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