Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Verwandten des Opfers. Dabei hinterlassen die Täter am Tatort materielle Spuren, die inzwischen sehr viel leichter gelesen werden können als früher: Blut, Speichel, Sperma. Es sind besonders die Biologie mit ihren scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten bei der DNA-Analyse und die moderne Rechtsmedizin, die helfen, Mördern und anderen Gewalttätern schneller auf die Spur zu kommen. Zum Beispiel reichen heute bereits winzige Mengen von biologischen Spuren, um einen Täter zu identifizieren.
Aber was ist mit den Fällen, bei denen trotz umfangreicher Ermittlungen und den ständig verbesserten wissenschaftlichen Methoden diese materiellen Spuren der Tat zwar ausgewertet, die Taten dennoch nicht aufgeklärt werden können? Tötungsdelikte, bei denen es keine Beziehung zwischen Opfer und Täter zu geben scheint und manchmal auch das Verhalten des Täters bizarr und unerklärbar wirkt, so dass ein Motiv auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist.
Bevor ich Sie allerdings in diese Fälle hineinziehe, noch ein paar grundsätzliche Anmerkungen zu einem wichtigen Thema: der Beziehung zwischen den Beamten der Mordkommission und den Fallanalytikern.
Mordkommissionen arbeiten bei ungeklärten Fällen unter extremem Stress: hohe eigene Ansprüche, interner und externer Druck. Klar, es gibt einen Tatort und eine Leiche und somit auch eine Vielzahl von objektiven Spuren. Doch manchmal muss das Opfer erst mühsam identifiziert werden, und die Ermittler verbringen viel Zeit damit, durch Zeugenbefragungen und Recherchen Hinweise zur Opferpersönlichkeit zu sammeln. Zudem kann die Auswertung der Spuren Tage, manchmal auch Wochen dauern. Trotzdem arbeitet die Mordkommission von der ersten Minute an »auf der Spur«: Das heißt, jedem Hinweis muss nachgegangen werden – obwohl das Bild der Tat nur unvollständig ist und manchmal noch das Verständnis für den Fall fehlt. Zwar kursieren in der Mordkommission viele Erklärungsmodelle, doch ob das richtige dabei ist, bleibt häufig unbeantwortet. Ich jedenfalls habe es oft erlebt, dass für eine analytische Aufarbeitung des Deliktes bei der »Arbeit auf der Spur« schlichtweg keine Zeit blieb.
Für solche Konstellationen ist der Einsatz von externen Fallanalytikern gedacht. Weil sie eben nicht in das Tagesgeschäft des Morddezernats eingebunden sind, haben sie mehr Zeit, Zusammenhänge zu ergründen, Theorien zu entwickeln und Profile zu erstellen.
Das Ergebnis der Analyse mündet dann in Ermittlungsempfehlungen, die von der Mordkommission umgesetzt werden können, aber nicht müssen. Damit dieses jedoch geschieht, muss ich als Fallanalytiker durch die Analyse und durch die anschließende Präsentation derselben vor der Mordkommission zunächst für meine Überlegungen werben. Aber sind Ermittler, die lange an einem Fall gearbeitet haben, auch tatsächlich bereit, von ihren Vorstellungen abzurücken und neue Ideen zu akzeptieren?
In meiner Zeit als Mordermittler war ich froh über externe Meinungen. Über den Tellerrand zu schauen und Experten anderer Disziplinen zu befragen und deren Einschätzungen zu berücksichtigen, gehörte für mich von Anfang an zum professionellen Arbeiten dazu. Als Fallanalytiker erhoffe ich mir eine solche Einstellung natürlich auch von den Mordermittlern, die ich mit meiner Arbeit unterstützen soll. Wenn ein Kommissar Fallanalytiker jedoch für praxisferne Theoretiker hält, habe ich kaum eine Chance, mit meinen Einschätzungen zu ihm durchzudringen.
Umgekehrt hängt es aber auch von meiner Sorgfalt, von meinem Verständnis für die anders gelagerte Arbeit eines Mordermittlers und der Durchführbarkeit meiner Vorschläge ab, ob die Resultate angenommen werden und es zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit kommt. Ein Profiler, der sich wegen seiner intensiven Studien überlegen fühlt und das sein Gegenüber spüren lässt, wird zu Recht nicht ernst genommen.
Bei der Argumentation hilft mir tatsächlich nur die genaue Analyse des Täterverhaltens und die Beantwortung der Frage, warum hat der Täter so gehandelt und nicht anders – das sogenannte Profiling. Wer war das Opfer, und welche Sequenzen des Verbrechens waren für den Täter besonders wichtig?
Doch bei dieser Arbeit ist Vorsicht geboten. Nicht immer sind die Spuren einfach zu deuten. Wenn der Täter bei der Tat seine individuellen Bedürfnisse, Gefühle und Phantasien auslebt, ähneln sich die Spuren der unterschiedlichen Verbrechen – obwohl jeder Täter aus seiner ihm eigenen Motivation
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