weißblau queer gestreift
Kapitel 1
Alois ist tot. Schon seit letzten Freitag. Komisch, dass mich das so wenig beschäftigt. Bestimmt würde ich auch jetzt nicht daran denken, wenn ich nicht gleich zur Beerdigung müsste. Ich würde rein gar nichts denken, denn ich würde mit Sicherheit noch schlafen.
Müde mustere ich den Inhalt meines Kleiderschrankes. Was ziehe ich an? Ach, egal. Eigentlich kann ich so rumlaufen wie immer. Schwarze Klamotten habe ich ja genug. Vielleicht sollte ich die Doc Martens und meinen Nietengürtel weglassen. Ich krame irgendeine Jeans und eine Bluse hervor und schlüpfe hinein. Schwarze Socken habe ich auch gleich zur Hand. Und da waren doch noch irgendwo diese spießigen Schuhe, die ich für das letzte Bewerbungsgespräch gekauft hatte … Ah hier. Fertig. Ich gehe zum großen Wandspiegel und blicke hinein. Was ich sehe, gefällt mir gar nicht. Zu Ehren meines verstorbenen Onkels habe ich es unterlassen, meine Haare in Igelform zu stylen. Ich habe sogar gänzlich auf Gel oder Spray verzichtet. Nun trage ich lauter kleine braune Löckchen auf dem Kopf. Dazu noch meine Sommersprossen. Zefix, ich sehe aus wie ein Monchichi! Gegen die Pünktchen auf meiner Nase und meinen Wangen hilft auch kein Make-up, das habe ich schon lange aufgegeben … Meiner Mutter wird mein Style gefallen. Die sagt eh immer, ich sehe aus wie ein Punk. Stimmt gar nicht: Ich bin Rockerin.
Egal, ich sollte nicht mehr trödeln, sonst komme ich zu spät. Schnell schiebe ich meine Zigaretten in meine Hosentasche und verlasse das Haus. Auf dem Weg zur Kirche begegnet mir die alte Huberin. Sie reißt sofort den Kopf herum, als sie mich sieht. Ich grüße kurz und beschleunige meinen Schritt. Bloß kein Gespräch anfangen, die Huberin ist ein schreckliches Tratschweib.
»Grüß dich Adelheid! Gell, das ist eine schlimme Sach’ mit deinem Onkel? Gott hab ihn selig! Ich hab’ gehört, er war in den letzten Wochen schon so krank, hat nix mehr essen wollen …«
»Mhm«, brumme ich.
»Dabei hat er sonst immer so einen guten Appetit gehabt, der Alois, essen hat der können, drei Knödl zum Schweinsbraten haben ihm oft nicht gelangt.«
Und jetzt ist er tot. Wegen der Fresserei. Ich verbeiße mir den Kommentar und sage: »Ja mei. Schad’.«
Es wäre unhöflich, die Huberin zu überholen, wo sie doch ein Gespräch angefangen hat. Im gemäßigten Tempo gehe ich neben ihr her.
»Weißt noch, der Grantlbauer Sepp? Der hat auch Zucker gehabt und einen offenen Fuß. Aber der ist alt geworden. 92 Jahr’. Wobei er in den letzten zehn Jahr’ im Pflegeheim war …«
Genervt höre ich mir zum wiederholten Mal die Krankengeschichte vom Grantlbauer Sepp an. Wir sind ja bald da. Die Huberin ist gerade beim Sepp seiner Fußamputation angekommen, als wir die Kirche erreichen. Ich weiß, dass die Geschichte noch viel länger ist, und bin froh, dass die Huberin jetzt ehrfurchtsvoll schweigt, weil sie das Gotteshaus betritt. Ich überlasse ihr den letzten freien Sitz- und begnüge mich mit einem Stehplatz. Auf der Männerseite wären noch Bänke frei, aber das macht man bei uns nicht, immer noch nicht. Keine Geschlechtermischung. Keine Ahnung, warum. Blöd nur, dass mir vom Weihrauch manchmal schlecht wird. Als Kind bin ich sogar mal umgekippt. Da haben sie mich in die Sakristei gebracht, meine Mutter und noch wer, und mich mit Riechsalz aufgepäppelt. Der Pfarrer hat währenddessen weiter gepredigt. Meiner Mutter war das Ganze arg unangenehm. Sie hat mich nachher geschimpft, weil ich den heiligen Gottesdienst gestört hatte. Hätte ich ordentlich gefrühstückt, wäre das angeblich nicht passiert. Dabei lag es doch an dem Weihrauch und der stickigen Luft! Naja, wenn mir jetzt schwindlig wird, kann ich wenigstens gleich ins Freie. Aber ein Sitzplatz wäre mir schon lieber gewesen.
Meine Mutter, die Mesnerin, streckt den Kopf aus der Sakristei heraus. Sie scheint nach mir zu suchen. Vielleicht befürchtet sie, dass ich verschlafen habe. Ich mache einen Schritt nach vorne, damit sie mich besser sieht. Meine Mutter nickt zufrieden und zieht ihren Kopf wieder zurück.
Im nächsten Moment beginnt die Orgelmusik. Der Pfarrer kommt, begleitet von seinen Ministranten. Dann verstummt die Musik und der Pfarrer beginnt zu sprechen. Sofort schalte ich auf Durchzug. Hoffentlich dauert seine Predigt nachher nicht zu lange. Ich bin saumüde. Neun Uhr ist nicht meine Zeit. Ich weiß, ich sollte jetzt wenigstens an den Alois denken, wenn ich schon nicht bete. Aber beim
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