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Auf der Spur des Hexers

Auf der Spur des Hexers

Titel: Auf der Spur des Hexers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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in die Tiefe stieg, ohne dabei wirklich heller zu werden. Er konnte auch seine Quelle nirgends entdecken: Es war einfach da, als leuchte die Luft selbst in diesem seltsam unheiligen Schein.
    Die Treppe führte sehr weit in die Tiefe. Andara zählte an die siebzig Stufen, die nach einer Weile nicht mehr aus aufgeweichtem, klebrigem Lehm, sondern aus Felsen bestanden, denn der Schacht führte tief in den Leib der Erde hinein, und schließlich fand er sich in einem nur halbhohen, runden Gang wieder, dessen Wände mit groben Zeichnungen übersät waren. Obgleich er nur auf den allerwenigsten davon irgendwelche erkennbaren Formen ausmachen konnte, übten sie doch eine beunruhigende Wirkung auf ihn aus, denn vieles von dem, was wie sinnlose in den Fels gekratzte Linien und Striche aussah, war eben nur fast sinnlos; Dinge, die sich dicht an den Grenzen des Erkennbaren bewegten, blasphemische Darstellungen gotteslästerlicher Wesen und Begebenheiten, die sich zugetragen hatten, lange bevor der Mensch seinen Fuß auf die Oberfläche dieser Welt setzte. Und sie waren alt, unglaublich alt. Dieser Gang, der so niedrig war, als wäre er für weit kleinere Wesen als einen Menschen gebaut, musste erschaffen worden sein, lange bevor Menschen hierherkamen, und dazu mit der Hilfe einer Technik, die sich Andara nicht einmal vorzustellen vermochte, denn diese Wände waren glasig und wie poliert, als wären sie in den Felsen hineingebrannt worden.
    Sehr vorsichtig ging er weiter. Das grüne Licht begleitete ihn, und so sehr es den Gang auch erhellte, verhinderte es zugleich auch nachhaltig, dass er wirklich sah, wohin er ging, denn alles, was weiter als vielleicht zehn Schritte vor ihm lag, schien hinter einem wogenden grünlichen Vorhang verborgen zu liegen.
    Dafür wurde der entsetzliche Nicht-Gesang lauter. Nach ein paar Dutzend Schritten steigerte er sich zu einem grässlich gröhlenden Chor der unbeschreiblichsten Laute; Geräusche, die auf entsetzliche Weise weder aus Menschen-noch aus Tierkehlen zu stammen schienen, aber die – und das war das Schrecklichste überhaupt – doch irgendwie einen Sinn ergaben, wenn auch einen, an den Andara nicht einmal zu denken wagte.
    Nach einer Weile begann sich der Tunnel zu erweitern, sodass er aufrecht gehen konnte; gleichzeitig nahm die Unversehrtheit seiner Wände und Decke aber in erschreckendem Maße ab: Große, pockennarbig wirkende Löcher gähnten in der grünschwarzen Glasur, viele der blasphemischen Zeichnungen waren beschädigt oder wie von zorniger Hand ganz ausgelöscht, und nach einigen weiteren Dutzend Schritten bewegte er sich durch einen unregelmäßig geformten, wohl eher von der Hand der Natur geschaffenen Tunnel; möglicherweise einer natürlichen Höhle oder Grotte, zu der der Stollen nur eine künstliche Verlängerung darstellte, eine unterirdische Verbindung zwischen ihr und der gewaltigen Turmruine oben im Wald.
    Andara ging langsamer, denn auch das grüne Leuchten nahm nun deutlich ab. Dafür gewann der alptraumhafte Gesang immer mehr und mehr an Gewalt, und nun spürte er auch wieder die Nähe des Meeres. Seine Vermutung musste richtig gewesen sein. Er hatte sich wieder zur Küste zurückbewegt.
    Er blieb stehen, um seinen Augen Gelegenheit zu geben, sich wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen, und lauschte. Die entsetzlichen Geräusche und Laute waren nicht verstummt, und jetzt, als er ihrer Quelle nahe war, hörte er wieder diesen fürchterlichen arhythmischen Rhythmus, dazwischen Worte, die keine Worte waren, sondern die schiere Verhöhnung jeglicher menschlichen Artikulation.
    Und plötzlich wusste er, woher er sie kannte.
    Es waren die gleichen entsetzlichen Laute, die der bedauernswerte Henry ausgestoßen und die er für Produkte seines Wahnes gehalten hatte, ein schreckliches, gutturales Würgern und Quaken, das sich zu einer Lautfolge zusammensetzte, die seine Nackenhaare sich sträuben ließen:
    Ngai ngai! kreischten die entsetzlichen Stimmen. Yi’dh Cthulhu fhtagn! Yiäh! Cthulhu! Immer und immer wieder.
    Andaras Hände begannen zu zittern, und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, war die Angst da, eine Furcht, gegen die es keine Gegenwehr gab, denn es war eine Angst, die tief in der Seele jedes Menschen verwurzelt war, etwas Angeborenes und Übermächtiges, gegen das das logische Denken und der Verstand wehrlos sind; etwas wie die Angst vor Feuer, vor Schmerzen und dem Tod. Nur stärker. Es dauerte lange, bis er die Kraft fand, sie niederzukämpfen

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