Auf der Straße nach Oodnadatta
Ich will nicht der neue Anfang sein!
Und sie zog ihre Hand aus der seinen, ging fort von ihm, einige Schritte weit, lief neben ihm her auf der anderen Seite der Straße, den gleichen Weg, aber von ihm getrennt. Und er zuckte nur die Schultern und verstand sie nicht.
Sie hätten an diesem Tag eine Menge unternehmen können. Ein neues Leben beginnen. Eine neue Freiheit. Sich ein Apartment nehmen hier irgendwo im feinsten Viertel dieser Stadt. Eine Suite im Plaza-Hotel. Ein Penthouse über den Dächern. Aber sie wollten ja nach Hause.
Sie hätten mit Pflastersteinen die Scheiben zertrümmern können der vornehmen, teuren Geschäfte. Niemand hätte sie gehindert. Pelze und Juwelen, Fotoapparate, ein neuer Kassettenrecorder, ein neuer song-of-freedom. Aber sie brauchten das alles nicht.
Sie gingen zurück zu der factory in der Amsterdam Avenue, in ihre Schule, stiegen die Eisentreppe hoch, betraten den leeren Saal, und dort zog sie sich um.
»He!«, sagt er, »wir sollten weiter trainieren!«
»Wozu?«, fragte sie und sah ihn lange an. Und da er nicht antwortete, wiederholte sie es, sehr laut, drohend, verzweifelt, voller Wut: »Wozu?!!!«
Sie hatte ihn angeschrien, presste die Lippen zusammen, wandte sich ab von ihm, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, denn sie wusste nun, dass alles vergeblich gewesen war, die Plackerei, die Freude, die Hoffnung. Der Kampf um Freiheit, um Anerkennung. Und jeder Gedanke an eine Zukunft.
Wenn ihr, Lizzy Janice Turner, oder sogar ihnen beiden, jetzt eine neue Aufgabe, eine neue Zukunft zugedacht war, Ursprung einer neuen und vielleicht besseren Menschheit zu sein, dann war das eine Bürde, eine unzumutbare Last. Eine erneute Sklaverei.
Sie setzte sich auf den glattgetanzten Boden, in der Mitte dieses düsteren Saals, mit seinem Geruch nach Schweiß und nach Zuversicht, umklammerte ihre angewinkelten Knie, verbarg ihr Gesicht dazwischen und weinte.
Er ließ sie allein. Weil er hilflos war und sie nicht verstand. Weil er nicht wusste, wie er sie hätte trösten sollen. Und weil er sich selbst beschissen fühlte, armselig und müde und hoffnungslos.
Irgendwann schlüpfte sie aus ihrem bunten Flicken-Pullover, aus ihren zerfetzten Schuhen, aus den grobgestrickten Strümpfen.
Er lehnte immer noch an der Stange und sah ihr dabei zu. Die langen Beine, die braune Haut, die Brüste mit den blauschwarzen Spitzen. Ein schönes Mädchen, dachte er, und kam zu ihr und kniete sich unmittelbar neben sie hin.
»Nein!«, sagte sie nur und stieß seine zärtlichen Hände zurück. Und als er sie fassungslos ansah, flüsterte sie nur: »Ich will nicht! Ich will nicht der neue Anfang sein! Ich will es nicht und ich kann es nicht! Verstehst du?«
Aber wiederum verstand er sie nicht.
Sie gingen den Weg zurück zu ihrem Haus wie jeden Abend. Bei Cohen’s Delikatessen holten sie ihre Milch, ihre Brote, und Thomas Malcolm Mutaza zahlte fünf Quarter und einen Dime und legte das Geld auf die Theke neben die Kasse, neben die Münzen vom Morgen.
Sie aßen die Brote, tranken die Milch, liefen den Morningside-Park entlang nach Norden, die Manhattan Avenue hinauf, bis zu ihrer Straße. Die verlassenen Autos standen immer noch quer auf der Kreuzung.
Das Treppenhaus war so leer wie die Flure der offenstehenden Wohnungen, und Missis James saß nicht in ihrem Korbstuhl und wünschte dem jungen Paar nicht, wie sonst, mit laszivem Lächeln einen schönen Abend und eine wunderschöne Nacht.
Die kleine Kammer roch muffig und dumpf, und der Stuhl lag immer noch umgestürzt an der Wand.
Das Handtuch war schmierig und feucht, und es lief immer noch kein Wasser aus dem Hahn.
Draußen begann es zu dämmern, wurde es Nacht, eine mondlose, lichtlose Nacht über der stillen, verlassenen Stadt.
Sie lag neben ihm in dem engen Bett, spürte seine Wärme, seine Haut, atmete seinen Geruch, und da war es ihr plötzlich gleichgültig, ob sie ein Teil war eines unbegreiflichen Plans, ob dies ein Anfang war oder ein Ende. Und sie umarmte ihn.
Sie klammerte sich an seine Schultern. Fühlte seine Kraft, seinen Willen, seine Zärtlichkeit.
Wir lieben uns!, dachte sie. Wir lieben uns, aber wir lieben uns nicht genug und auch nicht mehr als sich andere lieben. Oder geliebt haben. Früher einmal. In dieser großen und jetzt so leeren Welt!
Wir lieben uns selbst!, dachte sie. Zuerst einmal nur uns selbst, unsere Träume, unsere Hoffnungen, unsere Wünsche!
Wir lieben den anderen, weil wir ihn brauchen!, dachte
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