Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Gesprächspartnern gesagt, wenn ich fragte, ob der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain nicht allein aufgrund seines Lebensalters chancenlos sei. Auch Demokraten haben das übrigens betont, und der Ton mir gegenüber war bei dieser Antwort stets parteiübergreifend nachsichtig.
Allerdings hat das hübsche Bild auch eine Kehrseite. Ich finde es wunderbar, wenn mir ein zufriedener alter Mann in einem Museum etwas erklärt, was ich gerne wissen möchte. Weniger wunderbar finde ich es, wenn eine abgearbeitete alte Frau im Supermarkt an der Kasse hektisch den Preis für meine Waren eintippt und das tun muss, weil sie andernfalls nicht überleben kann. Fehlender Kündigungsschutz und die geringe Bezahlung für unqualifizierte Tätigkeiten ermöglichen es in den USA auch älteren Arbeitnehmern, einen Job zu finden. Sehr erfreulich. Aber diesen älteren Arbeitnehmern bleibt oft gar nichts anderes übrig, als Hamburger über die Theke zu reichen. Wenn sie nicht unter der Brücke landen wollen – ohne sich Hamburger leisten zu können.
Auch der blaue Himmel über dem Leben von Fred Bamonte bewölkt sich, wenn man genauer nachfragt. Er selber ist nicht freiwillig in Rente gegangen, sondern er wurde plötzlich herzkrank. Da blieb ihm dann keine andere Wahl mehr. Seine Frau, die auch schon 67 Jahre alt ist, hat nun hier auf den Outer Banks eine Vollzeitarbeit übernommen. Um sicherzustellen, dass sie beide krankenversichert sind.
Allzu lange soll seine Frau nicht mehr arbeiten, findet Fred. »So ein, zwei Jahre noch. Höchstens.« Und dann? Dann werden die beiden möglicherweise nicht mehr auf den Outer Banks in North Carolina leben können, sondern nach Florida umziehen müssen, wo die Steuerbelastungen für das Ehepaar weniger hoch sind, wie er sagt. Das ist natürlich kein unerträglich schweres Schicksal. Aber so richtig gut gefällt es mir auch nicht, wenn alte Menschen sich allein aus finanziellen Gründen selbst noch einmal verpflanzen müssen. Fred Bamonte sieht das ähnlich: »Die Mittelklasse ist nicht mehr das, was sie früher einmal war. Früher gab es so etwas wie einen glücklichen Ruhestand. Jetzt wird es immer schwieriger, die Rente zu genießen. Wegen der Rechnungen.«
Das Sein bestimmt eben doch in sehr starkem Maße das Bewusstsein. Für Fred ist die medizinische Grundversorgung inzwischen ein zentrales politisches Thema: »Jeder sollte das Recht auf eine Krankenversicherung haben. Ich sehe viele Leute leiden, weil sie keine Versicherung haben, und das ist moralisch falsch. Wenigstens die Armen müssten abgesichert sein.«
Wer sind eigentlich diese viel zitierten Armen? Eine sehr große Menschenmenge. Etwa 40 Prozent der US-Bevölkerung fallen innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren irgendwann einmal unter die entsprechende soziale Grenze, die von der Regierung festgesetzt wird. Und mehr als jedes fünfte Kind lebt in den Vereinigten Staaten dauerhaft in Armut. In der Reihe der Industriestaaten ist das eine konkurrenzlos schlechte Bilanz.
Hätten die Pioniere sich eine Entwicklung vorstellen können, in der solche Fragen von entscheidender Bedeutung sind – im Guten wie im Schlechten? Es ist kein Zufall, dass sich gerade hier derlei Fragen aufdrängen. Die Insel Roanoke, auf der heute Fred Bamonte sorgfältig gehegte Rochen streicheln lässt, ist möglicherweise tatsächlich die Wiege der USA. Gerade bei der Geschichtsforschung kommt es eben auf den Blickwinkel an.
Das Schicksal der ersten englischen Siedler auf der Insel ist nicht vollständig geklärt. Schon Ende des 16. Jahrhunderts landeten Entdecker aus England hier, und mehrfach versuchten Neuankömmlinge danach vergeblich, die Stellung zu halten. 1587 traf eine weitere Siedlergruppe ein, zu der auch Frauen und Kinder gehörten. Ihr Schicksal ist bis heute rätselhaft geblieben und bietet Stoff für Legenden. Die berühmteste Protagonistin: die junge Mutter Eleanor Dare. Die Darstellung, wie sie mit ihrem neugeborenen Baby durch den Wald flüchtet – dem ersten englischstämmigen Kind, das nachweislich auf nordamerikanischem Boden geboren wurde –, ist Teil der Gründungslegende der USA.
Vielleicht wurden Eleanor und ihre Schicksalsgefährten von Indianern ermordet. Aber vielleicht wurden sie auch freundlich von ihnen aufgenommen und es wurden gemeinsame Familien gegründet. Man weiß es nicht. Überzeugende Hinweise gibt es für beide Theorien. Fest steht: Die ersten englischen Bewohner des heutigen Territoriums der
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