Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Welt segnen. Ausnahmslos.« Doch, dieser Sticker werde durchaus gelegentlich als Provokation verstanden, sagte Jack freundlich. So sei er auch gemeint. Aber der Zuspruch, den er und seine Frau erführen, sei weit größer. Sie hätten kaum noch Aufkleber übrig, obwohl sie hätten nachdrucken lassen. Es gebe eine riesige Nachfrage.
Jack Pluckhahn bat mich herein. In einen lichtdurchfluteten Wintergarten. Wir saßen auf weißen Sofas vor einem langen, niedrigen Tisch aus Naturholz, auf dem das Nachrichtenmagazin Newsweek lag, einige Kunstbände und das neueste Buch von Jimmy Carter: »Palästina: Frieden, nicht Apartheid«.
Nancy Pluckhahn hat ihr Leben damit verbracht, die fünf gemeinsamen Kinder großzuziehen. Ihr Mann arbeitete im gehobenen Management eines Elektronikkonzerns. Beide erfüllt die politische Entwicklung mit tiefer Sorge: »Es ist ein Ego-Trip zu glauben, wir wüssten am besten, was gut ist für die Welt«, sagte die 72-jährige Nancy. »Wir wissen es nicht am besten.« Wenn die Vereinigten Staaten denn Hilfe anderswo auf der Welt leisten wollten, dann sollten sie das nicht auf eine Weise tun, »die nur für uns gut ist«. Der Krieg finde zu weit entfernt vom Alltagsleben der Durchschnittsbürger statt. »Er berührt uns nicht wirklich. Deshalb haben wir nicht so viel Mitgefühl, wie wir das eigentlich haben sollten. Die Leute leben so, als gebe es eigentlich gar keinen Krieg.« Ihr Mann ergänzte: »Unsere Regierung hat uns in ein Chaos gestürzt. Sie ist in einem fürchterlichen Zustand.«
Was tut das Ehepaar dagegen? Die beiden schicken Mails an politische Repräsentanten. Kleben Sticker auf ihr Auto. Zucken hilflos und etwas schuldbewusst die Schultern auf meine Frage, ob ihnen noch andere Maßnahmen der Gegenwehr einfallen. Dabei war diese Frage nicht etwa polemisch gemeint. Ich bin nicht sicher, ob ich auch nur annähernd so viel Engagement wie die Pluckhahns aufbrächte, wäre ich in ihrer Situation.
Meist verbirgt sich gerade hinter den unscheinbaren Türen und abseits der großen Straßen das, was in den Vereinigten Staaten einnehmend, ungewöhnlich und erstaunlich ist. Die öde Interstate 95 bietet keinen Hinweis darauf, wie reizvoll sich North Carolina schon einige Kilometer weiter östlich präsentiert. Die gesamte Küstenebene am Atlantik scheint ein einziges Feriengebiet für Individualisten zu sein. Der Strand wird gesäumt von Stelzenhäusern in Pastellfarben, im Meer kann man – mit einigem Glück – Wale und Delfine beobachten.
Der 69-jährige Fred Bamonte, der als Elektroingenieur in New York arbeitete, hat schon seit den Sechzigerjahren mit seiner Frau und den vier gemeinsamen Söhnen regelmäßig Urlaub gemacht in den Outer Banks, einer schmalen Inselkette vor dem Festland. »Damals gab es keinen Fernseher, keinen Supermarkt und kein Telefon hier«, erinnert er sich. »Aber die Jungen lernten, was Verantwortung und Respekt vor der Natur bedeutet.« Die Familienferien müssen einen tiefen, prägenden Einfluss bei den Kindern hinterlassen haben. Drei der vier Söhne sind Seeleute geworden, zwei beim Militär, einer ist auf kommerziellen Frachtschiffen unterwegs.
2001 fand in North Carolina ein Familientreffen statt. »Auf dem Rückweg fragte mich meine Frau, was ich davon hielte, wenn wir uns auf den Outer Banks zur Ruhe setzen. Ich war sofort begeistert«, erzählt Fred Bamonte. Zur Ruhe setzen: Das ist in den USA häufig nicht wörtlich zu verstehen. Fred leitet jetzt im Aquarium der Kleinstadt Manteo auf der Insel Roanoke etwas, das man als Streichelzoo für Rochen bezeichnen könnte. In einem niedrigen Becken schwimmen einige der flachen Knorpelfische – und man darf sie tatsächlich ganz zart berühren. Nein, das sei für die Tiere nicht unangenehm, erklärt der 69-Jährige. Darauf werde genau geachtet, und übrigens dürften die Rochen nach einiger Zeit auch wieder ins Meer zurückkehren.
Ungewöhnlich gut informiert scheint der kleine, stämmige Mann mit den buschigen Augenbrauen zu sein, und er hat die Fähigkeit, seine Kenntnisse auf unterhaltsame Weise zu präsentieren. Die Kinder hängen an seinen Lippen, auch die Erwachsenen langweilen sich nicht. Wieso versteht ein pensionierter Elektroingenieur aus New York so viel von Fischen, vom Meer, von den Gezeiten und von Umweltproblemen? Weil er noch einmal zur Schule gegangen ist. Als er mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Aquarium anfing, bot ihm das Museum zunächst die Teilnahme an einigen Kursen an und
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