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Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Hodder
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Mord in Fryston
    Die Zukunft beeinflusst die Gegenwart
genauso wie die Vergangenheit.
    FRIEDRICH NIETZSCHE
    S ir Richard Francis Burton robbte unter einen Strauch am Rand eines Dickichts im oberen westlichen Teil des Green Parks in London und schalt sich einen Narren. Ihm hätte klar sein müssen, dass er die Besinnung verlieren würde. Er hätte früher eintreffen müssen. Nun war die gesamte Mission gefährdet.
    Einen Moment lag er ruhig da, bis sich die Schmerzen in seiner Seite legten, dann brachte er sein Gewehr in Anschlag, stützte sich auf die Ellbogen und zielte mit der Waffe auf die Menschenmenge unter ihm. Er betrachtete die Inschrift auf dem Schaft: Lee-Enfield Mk III . Hergestellt in Tabora, Afrika, 1918 .
    Mit zusammengekniffenem Auge spähte er durch das Zielfernrohr und musterte die Gesichter der Menschen, die sich auf den Pfad am Fuß des Hanges einfanden.
    Wo war seine Zielperson?
    Sein Blick wurde trüb. Er schüttelte leicht den Kopf und versuchte, eine merkwürdige Zerrissenheit abzuschütteln, das schreckliche Gefühl, in zwei Persönlichkeiten gespalten zu sein. Zum ersten Mal hatte er dies während eines Malariafiebers im Jahr 1857 in Afrika erlebt, dann noch einmal vier Jahre später, als er zum Agenten des Königs ernannt worden war. Burton war der Meinung gewesen, diese Anfälle besiegt zu haben, und vielleichtwar es ja auch so. Schließlich gab es tatsächlich zwei Fassungen von ihm.
    Es war der Nachmittag des 10. Juni 1840 gewesen. Ein wesentlich jüngerer Richard Burton war gerade von Italien aus durch Europa gereist, unterwegs zum Trinity College in Oxford, um sich dort einzuschreiben.
    Als er nun an den eigensinnigen, rechthaberischen und undisziplinierten Jungspund zurückdachte, der er damals gewesen war, flüsterte er: »Die Zeit hat mich verändert, dem Himmel sei Dank. Die Frage ist nur: Kann ich den Gefallen erwidern?«
    Er nahm ein Gesicht nach dem anderen ins Visier, suchte nach dem Mann, den zu erschießen er hergekommen war.
    Es war ein milder Tag. Die Herren trugen leichte Jacken, Zylinder und Spazierstöcke. Die Damen schmückten sich mit Schutenhüten, zarten Handschuhen und Sonnenschirmen. Alle warteten darauf, Königin Victoria in ihrer Kutsche vorbeifahren zu sehen.
    Burton richtete das Fadenkreuz auf eine Person nach der anderen. Der junge Edward Oxford befand sich irgendwo in der Menge, ein wahnsinniger Achtzehnjähriger mit zwei Steinschlosspistolen unter dem Bratenrock und Mord im Sinn. Aber Burton war nicht gekommen, um den angehenden Attentäter der Königin zu erschießen.
    »Verdammt und zugenäht!« Seine Hände zitterten. Solchermaßen ausgestreckt auf dem Boden zu liegen wäre für jeden Mann seines Alters   – er war siebenundvierzig   – unbequem gewesen, doch verschlimmert wurde es durch die zwei gebrochenen Rippen, die er dem Untergebenen des Premierministers, Gregory Hare, zu verdanken hatte. Sie bohrten sich wie ein Messer in seine Seite. Vorsichtig verlagerte er das Gewicht und versuchte, den Strauch dabei nicht in Bewegung zu versetzen. Dass er verborgen blieb, war von entscheidender Bedeutung.
    Ein Gesicht erregte seine Aufmerksamkeit. Es war rund, mit dichtem Schnurrbart, und besaß eine geradezu greifbare Ausstrahlung von Arroganz. Burton hatte den Mann nie zuvor gesehen   – zumindest nicht in dieser Erscheinung   –, trotzdem kannte er ihn: Henry de La Poer Beresford, dritter Marquis von Waterford, von vielen »der irre Marquis« genannt. Der Mann galt als Gründer der Libertins, einer einflussreichen Bewegung, die Freiheit von gesellschaftlichen Fesseln predigte und sich entschieden gegen technologischen Fortschritt aussprach. In drei Jahren würde Beresford eine radikale Splittergruppe anführen, die Aufrührer, deren anarchistische Philosophie die gesellschaftlichen Konventionen in Frage stellen würde. Der Marquis vertrat die Ansicht, die menschliche Spezies schränke ihre eigene Weiterentwicklung ein, und jeder besäße das Potenzial, ein die natürlichen Grenzen überschreitender Mensch zu werden, ein Geschöpf, frei von Beschränkungen, ohne Gewissen oder Selbstzweifel, ein Wesen, das tun konnte, was immer es wollte und wann immer es wollte. Es war eine gefährliche Idee   – das hatte Burton der Weltkrieg vor Augen geführt   –, aber in diesem besonderen Augenblick ging es ihm nicht darum.
    »Um dich kümmere ich mich in einundzwanzig Jahren«, murmelte er.
    Ferner Jubel hallte durch den Park. Die Tore des Buckingham Palace

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