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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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lagen eindeutig in Kuklinskis extrem gewalttätigem Elternhaus. Als er ein Kind war, misshandelte sein Vater einen seiner beiden Brüder so schwer, dass dieser starb. Der Polizei erklärten die Eltern, der Junge sei von einer Treppe gestürzt. Sie kamen damit davon. Der andere Bruder verbrachte seine letzten Lebensjahre im gleichen Gefängnis wie Kuklinski. Er war dort schon lange vorher gelandet, nachdem er eine Zwölfjährige vergewaltigt und ermordet hatte. Kuklinskis Mutter schließlich wurde von ihrem Mann bei einer der unzähligen, heftigen Ehestreitigkeiten ermordet. Er stach ihr mit einem Messer in den Rücken.
    Ein Kind, das unter derart extremen Bedingungen aufwächst, hat eine sehr große »Chance«, selbst zum Verbrecher zu werden.
Das wirkliche Leben war Chaos …
– Aber es lag eine schreckliche Logik in der Phantasie
    Dieser Satz stammt aus Oscar Wildes »Das Bildnis des Dorian Gray«. Die Hauptfigur des Romans ist ein attraktiver, wohlhabender, eitler, kaltherziger junger Mann. Dorian Gray langweilt sich, er sucht vergeblich nach einem Sinn in seinem oberflächlichen Leben. Also flüchtet er sich in allerlei maßlose, selbstsüchtige und grausame Ausschweifungen – nichts anderes als die typisch psychopathische Suche nach immer neuen Kicks, Abenteuern und Erfolgen. Die Sünden, die Dorian begeht, schlagen sich in einem Gemälde nieder, das ihn zeigt – auf diesem Porträt wird er immer hässlicher und älter. Ich weiß nicht, ob Rodney Alcala dieses Buch jemals gelesen hat. Aber es würde mich interessieren, ob er seine Ähnlichkeit mit dieser Figur erkannt hätte.
    Alcala verband emotional absolut nichts mit anderen Menschen. Anders als Kuklinski schien er nicht einmal für seine nächsten Angehörigen – seine Mutter, bei der er lebte, und seine Schwester, mit der er Kontakt hatte – besonders viel zu empfinden. Der einzige Mensch, für den Alcala etwas empfand, war er selbst. Auch das Selbstmitleid, das ihn nach der Vergewaltigung im Wald erfasste, weil er die Kontrolle über seine sexuelle Lust verloren hatte, drehte sich schließlich nur um ihn. Für ihn waren alle anderen Menschen ausnahmslos »Dinge«. Die, die er haben wollte, machte er zu seinem Eigentum. Eine andere Verbindung zu seinen Mitmenschen herzustellen, war er nicht in der Lage.

Ihr persönlicher Schatten
– Freund oder Feind, darauf können Sie Einfluss nehmen
    Ich habe Ihnen diese Täter näher vorgestellt, weil ihre Taten allesamt kaltblütig, äußerst grausam und für Normalsterbliche zumindest emotional nicht nachvollziehbar sind. Um sie wirklich zu verstehen, muss man sehr nah an das Leben und die Persönlichkeit des jeweiligen Täters herangehen und die psychologischen Details untersuchen wie unter einem Mikroskop. Wenn Sie in Zukunft aber von solchen Taten lesen, so haben Sie immerhin eine Vorstellung davon, dass, wie ein Mensch nach außen wirkt und was in seinem Inneren, vor allem in seinem »Schatten« schlummert, zwei völlig verschiedene Dinge sind.
    Welche »Schatten« Ihre Mitmenschen in sich tragen, werden Sie nur selten wirklich erfahren. Umgekehrt werden die wenigsten Ihren »Schatten« jemals wirklich kennenlernen. Einiges, was diesen »Schatten« ausmacht, ist vielleicht so unangenehm für Sie selbst, dass Sie es lieber ignorieren und gar nicht wissen wollen, was wirklich dahintersteckt.
    Nur wenige Menschen sind irgendwann gezwungen, sich ihrem eigenen »Schatten« ganz zu stellen. Doch es ist manchmal hilfreich. Viele, die ich beruflich und privat kenne, leben mehr oder weniger offen mit den Besonderheiten ihres »Schattens«. Wir können versuchen, aus unseren Schatten das Beste zu machen. Mit ihnen leben zu lernen, statt sie völlig zu ignorieren. Sie wie ungezogene kleine Geschwister davon abhalten, irgendwelchen Schaden anzurichten. Ihnen aber auch mal erlauben, uns dazu zu bringen, verrückte Dinge zu tun, die wir uns sonst nicht trauen würden. Solange wir damit niemandem schaden, kann dies unseren Horizont und unsere Lebenserfahrung erweitern.
    Nicht wenige Menschen, die als Wissenschaftler, Therapeuten oder Betreuer beruflich mit Verbrechen arbeiten, hatten persönliche Gründe für diese Berufswahl. Sie haben ihren »Schatten« gesehen – Erlebnisse und Erfahrungen, die sie geprägt haben, auf die sie vielleicht lieber verzichtet hätten, die aber ein Teil von ihnen sind. Ein Teil, der sie in ein Berufsfeld brachte, in dem sie gerne arbeiten und für das sie begabt sind. Eine Kollegin, die

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