Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
Kapitel 1 - Haltet den Dieb
Der Mann packte Luzia an den Schultern, damit sie nicht durch seinen Schubs umfiel. »Oh, Verzeihung!«, rief er aus. Sie kämpfte mit dem Gleichgewicht, suchte Halt an seiner Jacke. Ihre Hände glitten auf Brokat aus und strichen über seine Brust, ertasteten Seide. Ja, dieses glatte Streicheln auf ihren Fingerspitzen gefiel ihr. Er hatte sie im Gewühl auf dem Marktplatz angerempelt, wo die Zuschauer gute Plätze suchten. Ein Teil der Leute behauptete seinen Stehplatz, während andere sich dazwischen drängelten, einen besseren wollten. Durch die Beine der Erwachsenen huschten Kinder und hüpften, um auch etwas zu erkennen. Zu allem Überfluss wanderten Krämer mit ihren Bauchläden hindurch, verkauften Devotionalien oder Naschwerk. Als die süßen Düfte Luzia in die Nase zogen, meldete sich ihr Magen.
Wohlgefällig lagen die Augen des Mannes auf ihr, sie war hübsch. Seine Hände berührten sie länger als notwendig. Es tat gut, von einem Mann gehalten zu werden, solange der Griff nicht zu fest wurde. Jetzt drohte sie nicht mehr umzufallen. Luzia sah dem Edelmann ins Gesicht, dann deuteten ihre Lippen ein Lächeln an und sie schaute zur Seite. »Keine Ursache«, murmelte sie und wandte sich von ihm ab. Er ließ seine Finger zum Abschied über ihren Ärmel gleiten, als ob er sie bei sich behalten wolle. Sein Duft nach Rosenwasser übertrug sich auf ihren Mantel und Luzia atmete ihn tief ein. Irgendwann würde sie sich so etwas auch mal leisten können.
Geschickt wand sie sich durch die Menschenmassen. Erst nach einer Weile, als der Mann bestimmt nicht mehr auf sie achtete, öffnete sie seine Börse. Schon das Gewicht sagte ihr, dass sie ein ungewöhnliches Schnäppchen gemacht hatte. Jemand, der eine Brokatjacke und Parfüm trug, hatte mehr als ein paar Kreuzer dabei. Obwohl hunderte von Menschen um sie herum wimmelten, sah niemand, was Luzia in dem Geldbeutel betrachtete. Acht Gulden, ein Vermögen! Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Sie verstaute das Geld unter ihrem Rock und hätte beinahe einen Tanzschritt gewagt.
Eigentlich konnte sie jetzt nach Hause gehen, das reichte Monate. Andererseits war die Gelegenheit heute so günstig wie nie. Aus dem ganzen Umland waren Menschen hergekommen - Menschen, die aus Eitelkeit Schmuck und Geld herzeigten, den Verlust nicht einmal spürten. Und vor allem: Diese Unvorsichtigen hatten Luzia noch nie gesehen. Sie lebte seit gut einem Monat hier und kannte schon fast alle Bürger in Amorbach. Und fast alle kannten sie - das wurde gefährlich.
Nur noch einer, dachte sie nach kurzem Zögern und schlängelte sich durch die Menge. Der Karren erreichte den Marktplatz und alle Augen verfolgten den Weg, den die Büttel rüde frei schaffen mussten. Mit Knüppeln schlugen sie auf diejenigen ein, die nicht schnell genug zur Seite sprangen. Luzia beglückwünschte sich, dass sie rechtzeitig fortgekommen war. Noch eine Börse aus einem samtenen Wams verschwand zwischen ihren geschickten Fingern, während sie durch die Schaulustigen strebte. Ein Hochgefühl erfüllte sie, wie sie es seit Wochen nicht mehr erlebt hatte.
Kurz blickte sie zu der Attraktion, wegen der sich alle hier drängten. Eine Frau saß auf dem Stroh zwischen den beiden Leitern des Karrens, das Weib des Schultheißen Bastian Hank, die größte Teufelin überhaupt, wenn man dem Tratsch glaubte. Ob alt oder jung konnte Luzia von ihrem Standort nicht erkennen. Keine Haube, kein Tuch verhüllte den Kopf der Frau. Ihr hingen die Haare strähnig ins Gesicht, so schmierig, dass Abscheu sich in Luzia regte. Ein Mann drängte sich durch die Menge zum Karren und umfasste die Leiter. »Catharine!«, schrie er. »Gestehe doch! Mir zuliebe. Denk an dein Seelenheil!«
Das war der Schultheiß. Für einen Moment ließ Luzia sich ablenken durch diesen Anblick. Wie konnte er sich so gehen lassen, zum Gespött machen für eine solche Schlampe? Die Frau reagierte überhaupt nicht. Ihr fadenscheiniges Hemd klaffte auf, dass auf einer Seite die Brust bloß heraushing. Sie machte keine Anstalten, den Stoff zusammenzuraffen, als ob ihr das gar nichts ausmachte. Watsch! Ein Salatkopf flog ihr ins Gesicht, hinterließ im Herunterrutschen grünen Schleim. Wie ekelhaft. Das Volk johlte. Nicht einmal das brachte sie dazu, den Blick zu heben. Der Schultheiß ließ los und sah dem Karren hinterher.
Luzia schob sich voran, drängte sich zwischen so manche ungewaschene Leiber und ließ ihre Hände über Jacken
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