Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
dem er lag. Ich wollte einen letzten, langen Blick auf ihn werfen. Nun, so seltsam das auch klingen mag, er ist mein bester Freund gewesen.«
Nachwort
Der Schatten ist alles das,
was du auch bist,
aber auf keinen Fall sein willst.
(C. G. Jung)
Wir sind am Ende der Reise durch die Welt der Dunkelheit und des Lichts angekommen, durch die unscharfe Nebelwand zwischen den »guten« Gefühlen, Gedanken und Handlungen – und den »bösen«, die jeder Mensch in sich trägt. Wir alle nehmen unsere »hellen Seiten«, die wir mögen und auf die wir stolz sind, meist stärker wahr als unsere »düsteren«, für die wir uns schämen, die uns vielleicht sogar Angst machen. Der Psychiater und Begründer der Analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung, beschäftigte sich als einer der Ersten mit ihnen. Jung fasste all diese »dunklen Anteile unserer selbst« zusammen und nannte sie den »Schatten«. Sein Interesse dafür hing sicher auch damit zusammen, dass sein eigener »Schatten« ihn mindestens einmal in ernste Schwierigkeiten brachte.
Diese kamen im Briefwechsel mit seinem damaligen Freund und Mentor Sigmund Freud ans Licht. Peinlich berührt gestand der 31-jährige Ehemann und Familienvater Jung, eine Affäre mit seiner zehn Jahre jüngeren Patientin Sabina Spielrein begonnen zu haben. Freud wies den von der Leidenschaft seines »Schattens« buchstäblich überwältigten Jung väterlich zurecht und bestand darauf, diese »therapeutische Grenzverletzung« müsse ein Ende haben. Wegen Jungs Affäre führte Freud eine bis heute gültige Regel für Psychoanalytiker ein: Bevor sie mit Patienten arbeiten dürfen, müssen sie selbst als »Analysanden« eine Psychoanalyse durchlaufen haben. Darin müssen sie sich ihren eigenen »Schatten« stellen und mit diesen bewusst umgehen lernen.
Die Konstellation Jung, Spielrein, Freud führte zur Entdeckung des »Schattens« in der Psychologie.
Schatten ziehen Schatten an
– Wenn Gemeinsamkeiten Unterschiede überwinden
Jungs »Schatten« spielt auch bei »Dexter« eine tragende Rolle. Ich schaute die Folgen der Serie nach und nach, während ich an diesem Buch arbeitete. Als ich mit der zweiten Staffel begann, hatte ich gerade die Interviews mit meinen psychopathischen Gesprächspartnern abgeschlossen. Sehr bald musste ich über diese zeitliche Koinzidenz innerlich lachen.
Meinen Interviewpartner Alexander hatte ich unter anderem deswegen näher kennengelernt, weil wir uns über unser gemeinsames Interesse für die »Borderline-Störung« und seine Partnerschaft mit einer Borderlinerin ausgetauscht hatten. Später erfuhr ich auch von anderen mittelgradig psychopathischen Interviewpartnern wie Christian, dass sie auffällig oft Beziehungen mit Frauen geführt haben, die eine solche Persönlichkeitsstörung hatten.
Meine Interviewpartner erzählten, dass sie die heftigen Gefühlsschwankungen von Borderlinerinnen einerseits besser aushalten als viele andere Menschen. Außerdem scheinen sie selbst gewissermaßen von diesen Gefühlsausbrüchen fasziniert zu sein, weil sie selbst kaum mehr etwas fühlen. Inzwischen denke ich, dass es noch mindestens einen weiteren Grund dafür gibt, warum sich zumindest einige auffällig psychopathische Männer zu Borderlinerinnen hingezogen fühlen: Beide haben düsterere und stärker ausgeprägte »Schatten« als viele andere Menschen.
Mit diesem Hintergrundwissen sah ich nun die zweite Staffel der Serie, in der Dexter einer Frau namens Lila begegnet. Lila ist ihm in einigen Bereichen verblüffend ähnlich. Eines Abends, sie haben sich gerade zufällig in einer Selbsthilfegruppe kennengelernt, beschreibt Lila Dexter, was ein Mensch empfindet, der einen solchen besonders ausgeprägten »Schatten« in sich trägt. Sie sucht allerdings nach einer treffenden Bezeichnung. Dexter versteht sofort, was sie meint. Er hat seine eigene Umschreibung für diese Persönlichkeitsanteile: »Der dunkle Mitreisende« . Der »dunkle Mitreisende« – im Original »the dark passenger« – ist es, der Dexter immer wieder zum Töten drängt. Er repräsentiert all jene Bedürfnisse, welche Dexters Vernunft lieber nicht ausleben möchte.
Im weiteren Verlauf der Staffel wird klar – auch wenn es an keiner Stelle so deutlich ausgesprochen wird –, dass Lila an einer »Mischform« aus zwei Persönlichkeitsstörungen leidet: Sie hat viele »psychopathische Anteile«, doch gleichzeitig hat sie auch eine »Borderline-Störung«. Das bedeutet, dass sie in vielen Situationen
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