Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Eigenschaften stark ausgeprägt sind, bekommt also die volle Punktzahl von vierzig Punkten. Die Gesamtpunktzahl rechnet der Experte dann in Prozent um.
Ein Mensch, der keine einzige psychopathische Eigenschaft besitzt, erhält einen Psychopathie-Wert von 0 %. Er ist also überhaupt nicht psychopathisch. Jemand, bei dem alle zwanzig psychopathischen Eigenschaften stark ausgeprägt sind, bekommt dagegen 40 »Psychopathie-Punkte«. Dieser Mensch hat einen Psychopathie-Wert von 100 %. Die allermeisten Männer in Nordamerika haben weniger als vier Punkte auf der Psychopathie-Checkliste. Das bedeutet, ihre Psychopathie-Werte liegen unter 10 %. Damit gelten sie als nicht psychopathisch.
Auf den ersten Blick sieht es sehr einfach aus, jemanden mithilfe der Psychopathie-Checkliste zu beurteilen. Anscheinend muss man nur die zwanzig Bausteine kennen und mit null bis zwei Punkten gewichten. Doch bevor Sie auf die Idee kommen, sich diesen Test besorgen zu wollen, um damit Psychopathen unter Ihren Freunden und Nachbarn ausfindig zu machen: So einfach ist es dann doch nicht. Nur forensisch ausgebildete Psychologen und Psychiater können die Psychopathie-Eigenschaften eines Menschen richtig und genau bestimmen.
Gerade Psychopathen sind nämlich sehr gut darin, sich zu verstellen, zu lügen und Dinge zu verheimlichen. Deshalb muss jemand, der mit der Checkliste arbeitet, zwei wichtige »Werkzeuge« mitbringen. Erstens: sehr viel theoretisches Wissen über Psychopathie speziell sowie über forensische Psychologie und Psychiatrie allgemein. Zweitens: viel Erfahrung im Umgang mit schweren Straftätern.
Wer einen Straftäter mithilfe der Checkliste einschätzen will, muss beispielsweise dessen Aussagen mit den Informationen aus seiner Akte vergleichen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Psychopathen auf diese Weise einzuschätzen bedeutet, die Wahrheit hinter den besten aller Lügner zu entdecken. Deshalb dürfen und können nur Experten den genauen Psychopathie-Wert eines Menschen bestimmen.
Wenige Psychopathen richten großen Schaden an
Robert Hare entwickelte seine Psychopathie-Checkliste ursprünglich, um mit ihr Gefängnisinsassen in Nordamerika zu untersuchen. Dafür legte er fest, dass ein Straftäter mindestens 75 % psychopathischer Eigenschaften haben muss, um als Psychopath eingestuft zu werden. Weltweite Untersuchungen mit der Checkliste zeigen, dass 10 bis 20 % aller Straftäter Psychopathie-Werte von 75 % und mehr erreichen. Sie sind also eindeutig »stark ausgeprägte« Psychopathen. Hare zufolge sind diese höchstens 20 % psychopathischer Gefängnisinsassen verantwortlich für mehr als die Hälfte der allerschwersten Verbrechen wie Mord und wiederholte Vergewaltigung.
Dass stark ausgeprägte Psychopathen besonders viele sehr schwere Verbrechen begehen, war nicht der einzige Grund, warum Hare seine Checkliste eigens für Gefängnisinsassen entwickelte. Viele wichtige Entscheidungen, die forensische Gutachter und Therapeuten treffen, hängen davon ab, ob und in welchem Ausmaß ein Täter psychopathisch ist. Wird ein stark psychopathischer Straftäter nicht als solcher erkannt, kann das katastrophale Folgen haben. Ein extremes Beispiel dafür ist der Fall Rodney Alcala. Psychopathen werden sehr viel häufiger rückfällig als andere Straftäter. Das muss ein Experte berücksichtigen, der einschätzen soll, wie gefährlich ein Täter in Zukunft sein wird.
Sicherungsverwahrung – Ein Sonderopfer zum Schutz der Allgemeinheit
Diese Einschätzung ist beispielsweise vor deutschen Gerichten sehr wichtig. Auf ihrer Grundlage entscheidet ein Richter in bestimmten Fällen, ob er eine Sicherungsverwahrung anordnet. Tut er dies, bleibt ein Täter in Haft, auch nachdem er seine Strafe abgesessen hat. Diese Sicherungsverwahrung ist nicht als Strafe gedacht. Sie wird verhängt, um andere Menschen vor ihm zu schützen. Juristen sagen dazu, der Sicherungsverwahrte »erbringt ein Sonderopfer für die Allgemeinheit«.
Vorher jedoch muss ein Gutachter die Wahrscheinlichkeit als groß einschätzen, dass der Täter in Freiheit wieder eine schwere Straftat begehen würde. Kommt ein Täter deshalb in die Sicherungsverwahrung, so ist diese – da sie keine Strafe mehr sein soll – mit Hafterleichterungen verbunden. Er hat dann unter anderem das Recht auf eine größere Zelle, er darf mehr Gegenstände besitzen und für seine Gefangenenarbeit bessere Bezahlung verlangen.
Eine Sicherungsverwahrung bleibt so lange
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