Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Gefängnis bringen könnte. Er kam in seinem Leben bisher gut klar, ohne Straftaten zu begehen, weil dies aus »Kosten-Nutzen-Abwägungen« der für ihn günstigste Weg war.
Auf meine Frage, für wie wahrscheinlich er es hält, dass er seinen »Plan« wahr machen könnte, antwortete er: Er würde dies nur tun, wenn er erstens alt, zweitens körperlich hinreichend eingeschränkt und drittens sehr arm wäre. Wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, dass all dies eines Tages zusammen eintreffe, wisse er nicht. Zurzeit schätzt er die Wahrscheinlichkeit aber als nicht sehr hoch ein.
Wahrscheinlich finden Sie die Gedankengänge von Boris schockierend. Möglicherweise denken Sie deshalb, Boris habe eventuell eine nicht ernst gemeinte Geschichte erfunden. Warum sollte er dies alles wirklich ernst meinen, wenn er selbst sagt, er halte es nicht für allzu wahrscheinlich, dass er in diese Situation kommen wird? Hier sollten Sie bedenken, dass die Lebensumstände tatsächlich maßgeblich darüber entscheiden können, ob Menschen eine Straftat begehen.
Die Rate der durch ihre Frau getöteten Ehemänner sank, wie schon erwähnt, in dem Maße, wie die finanzielle Absicherung von Ehefrauen, die sich scheiden ließen, stieg. Ebenso töteten Eltern früher manchmal ihre Kinder, wenn sie diese nicht mehr versorgen konnten. Auch solche Taten kommen in Deutschland kaum mehr vor, weil unser Sozialsystem derartige Notlagen verhindert.
Dies sind Beispiele dafür, dass einige Menschen in unserem Land, die vor hundert oder zweihundert Jahren zu Mördern geworden wären, es heutzutage nicht mehr werden. Diese Menschen können Ihre Nachbarn oder Ihre Freunde sein. Sie werden es nie erfahren.
Ich verstecke mich hinter einem Lächeln und einfühlsamen Augen
Wie kann es sein, dass psychopathische Menschen wie Christian oder Boris lange Beziehungen führen können, ohne dass ihre Partner bemerken, wie oberflächlich, wechselhaft und unverbindlich ihre Gefühle sind? Es liegt vor allem daran, dass normale Menschen sich die psychopathische Innenwelt kaum vorstellen können. Daher glauben sie einfach nicht, dass jemand, den sie lieben, ihnen tief in die Augen sehen oder sich reumütig entschuldigen kann – und dabei kaum etwas empfindet. Psychopathische Menschen begreifen früh, wie sie mit solchen Verhaltensweisen andere täuschen und beeinflussen können.
Christian – der sein ganzes erwachsenes Leben lang sexuelle und scheinbar feste Beziehungen hatte, über längere Zeiträume und gleichzeitig – spielte mir irgendwann ein Lied vor. Er sagte, dass ihm dieses Lied sehr gut gefällt. Ich kannte es nicht und war erstaunt, wie gut der Text einen Teil seiner Persönlichkeit darstellt. Dort beschreibt der Sänger ziemlich zutreffend, wie Psychopathen auf Partnersuche gehen. Einiges entspricht auch Christians Umgang mit zumindest einigen seiner bisherigen Partnerinnen. Er bringt Frauen – wenn er sich Mühe gibt – schnell dazu, ihm zu vertrauen und sich in ihn zu verlieben.
In einem unserer frühen Gespräche äußerte er: »Ich weiß nicht, warum Frauen sich immer wieder so schnell in mich verlieben. Dabei mag ich es gar nicht, wenn sie dann anfangen zu klammern.« Da ich schon einiges über ihn wusste, erstaunte mich diese Aussage, denn eigentlich ist Christian meist sehr genau bewusst, welche Wirkung sein Verhalten auf andere Menschen hat. Dieses Wissen setzt er auch häufig gezielt ein, um andere zu beeinflussen.
Daher antwortete ich: »Ich wundere mich, dass dich das wundert. Nach allem, was du erzählst, verhältst du dich öfter bewusst so, dass du bestimmte Frauen dazu bringst, sich gefühlsmäßig an dich zu binden. Warum tust du das, wenn du dich dann bald von ihnen eingeengt fühlst?« Er dachte eine ganze Weile nach und sagte dann: »Weil ich sie, wenn ich das tue, haben will. Indem ich sie gefühlsmäßig an mich binde, sorge ich dafür, dass ich sie nicht so leicht verliere.«
Psychopathische Liebe – Der Besitzer eines Spielzeugs sein
Der Ausdruck »haben wollen« beschreibt recht gut, wie psychopathische Menschen das empfinden, was normale Menschen »Liebesbeziehungen« nennen. Weil sie nichts besonders stark fühlen, empfinden sie nie wirklich, was andere unter gegenseitiger, tiefer Bindung verstehen. Das illustrierte Christian sehr eindrücklich mit folgender Anekdote. Ein Freund fragte ihn: »War das letztens deine neue Freundin, mit der ich dich gesehen habe?« Christian erwiderte: »Das war mein Eigentum.«
Der Freund
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