Auf Dünnem Eis (T-FLAC) (German Edition)
fragte sie. »Es ist ein herrlicher Tag, die Hunde ziehen an den Leinen und wollen los, und ich habe die Party, im Gegensatz zu manch anderem, früh genug verlassen, um noch etwas Schlaf abzukriegen.« Sie beäugte ihren Stiefbruder genauer. »Du siehst ein bisschen durch den Wind geschossen aus.«
Matt war einer der ehrenamtlichen Tierärzte, die sich während des mörderischen Rennens um die Hunde kümmerten, und würde vorfahren, um an den Kontrollpunkten auf die Ankunft der Musher zu warten. Aber erst fuhr er mit ihr auf dem großen Schlitten die heutige kurze Etappe mit, die nicht in die Wertung kam, und half ihr, die Ausrüstung zum ersten Etappenpunkt zu transportieren, wo morgen der offizielle Start erfolgte. Danach würde er sich entweder per Flugzeug oder per Schneemobil zu den Kontrollpunkten begeben.
Matt lachte. »Genau so fühle ich mich auch. Es ist verdammt hell hier draußen.«
Groß und schlaksig, mit dickem braunem Haar und einem schiefen Lächeln war Matt ein gut aussehender Mann, vor allem aber war er ein harter Arbeiter. Zum Glück für sie alle hatte er vor, in Montana zu bleiben, um in der Nähe seiner Mutter zu sein. Matts tierärztliche Fähigkeiten waren ein echter Pluspunkt für die Praxis Lilys und ihres Vaters. Auch wenn es für drei Tierärzte streng genommen nicht immer genug Arbeit gab.
Doch ihr Vater war hingerissen von Matt, und Lily war froh, einen Bruder zu haben. Dass das Kind in ihr sich gegen Matts Nähe zu ihrem Vater wehrte, hieß nicht, dass die Erwachsene den Bruder nicht zu schätzen wusste. Zudem war Matt, als Sean krank wurde, ein Glücksfall für die Ranch gewesen. Lily würde es ihm immer danken, dass er ihr so geholfen hatte.
»Wo hast du deine Sonnenbrille?«, fragte sie.
Er griff sich an die Nasenwurzel, zog eine Grimasse und holte eine dunkle Brille aus der Tasche. Er setzte sie auf und seufzte vor Erleichterung, als der gleißende Widerschein des Sonnenlichts auf dem Schnee erträglich wurde. »Wenn du jetzt noch dafür sorgen könntest, dass die Leute ein paar hundert Dezibel leiser schreien…«
»Mutter Natur wird dir in ein paar Stunden mit absoluter Stille helfen«, kicherte Lily und suchte dann die Gruppe der Musher unbewusst nach einem vertrauten dunklen Haupt ab. Sie sollte sich vermutlich entschuldigen, derart die Beherrschung verloren zu haben - oder auch nicht, dachte sie irritiert. Übernimm die Kontrolle, Lily Marie, spornte sie sich an. Übernimm einfach nur die verfluchte Kontrolle über dein Leben. Und wenn du ausflippen willst, dann darfst du das.
Na, also. Aktiv werden. Sie fühlte sich schon besser.
Ihre Hunde sprangen, tänzelten in dem zunehmend enger werdenden Korridor zwischen den Zuschauern und drehten vor Aufregung fast durch. Sie brannten darauf loszulaufen, und Lily verspürte den gleichen Druck, den gleichen wilden Drang.
»Eine Sache noch«, hörte sie eine rauchige Stimme. Lily riss den Kopf herum und sah Derek schon wieder neben ihrem Schlitten stehen. Oh, du lieber Gott! Hatte er den Wink nicht verstanden? Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Verdammt! »Nicht schon wieder!«
Seine blauen Augen funkelten. »Hast du mich vermisst?«
»Nein.«
»Hallo, Matt«, rief er und ließ Lily dabei nicht aus den Augen. Er fischte irgendetwas Kleines aus der Tasche und hielt ihr ein Gewirr aus dünnen schwarzen Drähten hin. Seine Hand war gebräunt, groß, wohlgeformt und maskulin. Eine Hand, dachte Lily freudlos, die mutmaßlich enormen Schmerz verursachen konnte und einer Frau exquisites Vergnügen.
Lily hatte letztes Jahr, als Dereks Schwester und ihr Ehemann zu Besuch da waren, einen Blick auf den Mann hinter dem unbeschwerten Charmeur erhaschen können. Lily war zufällig in den Stall gegangen und auf Derek getroffen, der mit seinen beiden Nichten im Heu gelegen hatte, wo sie eine Katze und ihre neugeborenen Jungen beobachtet hatten. Lily war im Schatten stehen geblieben, einen Knoten im Hals. Beim Anblick der beiden kleinen blonden Mädchen, die vergnügt kicherten und sich an ihren angebeteten Onkel schmiegten, war sie vor Eifersucht schier geplatzt. Sie würde niemals Kinder haben. Sie war damals, aufgrund von Seans Erkrankung, in der lieblosen sexlosen Karikatur einer Ehe gefangen gewesen.
Derek hatte lachend die Hand ausgestreckt und die Jüngere am Pony gezupft. Die Kleine war in Kriegsgeschrei ausgebrochen und hatte sich auf den Rücken ihres Onkels gestürzt. Und der vornehme Derek Wright hatte sich, ungeachtet des
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