Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
Kapitel 1 Ganz unten
Mühsam stapfe ich mit meinen Tüten voller Leergut durch den braunen Berliner Schneematsch. Handschuhe habe ich vergessen, meine Finger werden langsam starr vor Kälte. Als ich gerade auf das Wetter fluche, klingelt mein Handy. Ich bleibe stehen und schaue aufs Display. Katrin. Seit Wochen nicht gesehen. Was will die? Eigentlich habe ich keine Lust zu reden, aber vielleicht ist es wichtig.
«Ja?»
«Hey, alles gut bei dir?», und ohne eine Antwort abzuwarten: «Du meintest doch letztes Mal, dass du dringend Geld brauchst, oder? Ist das noch aktuell?»
«Ja, kann man wohl sagen.»
«Ich hätte da vielleicht was. Ist aber ziemlich harte Arbeit.»
«Mach’s nicht so spannend.»
«Auf dem Bau. So richtige Maloche. So was kannst du doch, oder?»
«Na ja, prinzipiell schon, denke ich. Ich hab mal meinem Vater geholfen, die Wand von unserer Garage abzureißen. Aber aufm Bau? Doch nicht draußen, oder?»
«Doch, ist ’ne Baustelle irgendwo an der Spree.»
«Draußen? Jetzt? Bist du irre? Es sind minus 12 Grad, und ich friere schon in der Wohnung.»
«Ich sag ja, ist ein Knochenjob. Mein Onkel ist der Bauleiter. Der meint, beim Arbeiten wird einem schon warm. Da wäre die Kälte nicht so schlimm.»
«Mhm, wie viel zahlen die denn?»
«Zwölf Euro die Stunde.»
«Ich weiß nicht. Eigentlich warte ich auf die Zusage von so einer Galerie. Das wäre mir schon lieber.»
Ehrlich gesagt rechne ich nicht mit einer Zusage, aber irgendwie wird mir dieses Telefonat unangenehm.
«Na ja, kannst es dir ja überlegen. Ruf mich an, falls du’s dir doch mal angucken willst.»
«Ja, okay. Aber ich denke, eher nicht. Trotzdem danke, dass du an mich gedacht hast.»
Ich schleppe mich langsam weiter. Meine Finger spüre ich jetzt kaum noch. Hat die mir gerade wirklich einen Job auf einer Baustelle angeboten? Und das bei den Temperaturen, die ist ja wohl verrückt.
Irgendwer hat mal gesagt, Berlin sei dazu verdammt, ständig zu werden und niemals zu sein. Wenn man sich die Baugerüste entlang der Warschauer Straße ansieht, scheint da was dran zu sein. Die waren mir vor dem Telefonat gar nicht so deutlich aufgefallen. Genauso wenig wie die Arbeiter, die, eingepackt in dicke Felljacken und Mützen, Zementsäcke die wackeligen Gerüstleitern hinaufschleppen. Jetzt schaue ich in den mit Wolken verhangenen Berliner Winterhimmel und stelle fest, dass auf dieser Ecke beinahe jedes zweite Gebäude eingerüstet ist. Auch das, an dem ich gerade vorbeilaufe. Ein mit Konzertplakaten behängter Bauzaun schützt die Arbeiter vor neugierigen Blicken, zumindest die, die im Erdgeschoss beschäftigt sind. Im zweiten Stock sitzt ein Bauarbeiter auf dem Gerüst.
Das Bauradio hört sich an wie klirrendes Eis. «It’s just another manic monday», klingt es von fern. In diesem Moment pfeift eine sibirische Böe durch die Straße, und mein Gesicht fühlt sich an, als würde es von Rasierklingen traktiert. Bei diesem Wetter sollte kein Mensch draußen arbeiten müssen. Die armen Kerle. Und das zwischen Weihnachten und Neujahr, wenn die meisten Leute gemütlich mit einem Glühwein vor dem warmen Kaminfeuer sitzen.
Nee, Katrin, das mache ich nicht. Auf gar keinen Fall!
Die Schiebetür des Sparkassen-Foyers öffnet sich, und sofort schlägt mir beißender Uringeruch entgegen. Ich kann nicht ausmachen, ob die Pfütze in der Ecke oder der zusammengekauerte Typ vor mir diesen Gestank abgibt. Eine speckige schwarze Mütze mit ein paar hineingeschmissenen Centstücken und eine leere Flasche Wodka liegen neben ihm auf dem Boden. Ach, du wunderschönes Berlin! Ich halte die Luft an, mache einen großen Schritt über das erbärmliche Männchen zu meinen Füßen und schreite schnell zum Geldautomaten.
Hoffentlich bekomme ich noch einen Fünfziger. Der Automat summt nicht. Schlechtes Zeichen!
Auszahlungsbetrag nicht möglich. Möglicher Betrag 20 Euro.
Mist! Das gibt’s doch nicht. Ich lasse mir meinen Kontostand anzeigen und muss leider feststellen, dass mein Dispo fast ausgeschöpft ist.
Meine Kredikartenabrechnung hatte ich total vergessen. Oh Mann. Ich lasse mir den Zwanziger auszahlen und krame in meinen Hosentaschen. 2 , 38 Euro für das Leergut und einen Fünfer habe ich noch in der Brieftasche. Macht 27 , 38 Euro. Nicht gerade viel, um Silvester in Amsterdam zu feiern. «Puh, also schon wieder was leihen», sage ich leise vor mich hin, während ich beim Rausgehen fast wieder über die Schnapsleiche stolpere.
Vor
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