Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
dem Olymp, die Venus im Bade, die Grazien und ihre Tänze, das schön beibehaltne Kostüm, das unendlich Mannigfaltige, und die unzähligen kleinen Einfälle, das Ganze zu beleben, muß man mit eigenen Augen sehen.«
Doch der ganze Aufwand, die Virtuosität der Tänzer, Vestris' wirbelnde Pirouetten, die frappierenden Effekte der Theatermaschinerie, all das war die glänzende Verpackung einer ganz einfachen, alltäglichen, alten, ewig neuen Geschichte, die auch Forsters Geschichte war, und die der Frauen, die neben ihm im Theater saßen. Liebe, die keine Gegenliebe findet, ein junger Mann, der übermütig mit der Liebe spielt, eine junge Frau, die an seiner Kälte zu verzweifeln droht. Und dann das Wunder, die Herzenswende.
Tatsächlich sogar ein doppeltes Wunder, denn das Glück der Liebenden kündigt den Anbruch eines neuen Goldenen Zeitalters an. Der Trojanische Krieg findet nicht statt! Inmitten einer heillos zerstrittenen Welt zauberte Gardel eine Insel des Friedens und der Liebe auf die Bühne. Noch einmal, zum letzten Mal bevor die strengen Tugendwächter alle Götter von den Pariser Bühnen vertrieben, beschwor er die Utopie, die in den Anfängen der Revolution in den Augen vieler ihrer Anhänger fast schon Wirklichkeit geworden war.
Seltsam eigentlich, daß Forster explizit kein Wort über Gardels revisionistische Fassung des Mythos verlor. Vielleicht, weil sie mit seinen eigenen Wünschen und Hoffnungen verschwistert war? Im gleichen Brief, in dem er Therese von seinem Besuch im Urteil des Paris berichtete, hat er die theatralische Botschaft des Balletts in eine Utopie übersetzt.
»Freiheit und Gleichheit? Mein ganzes Leben ist mir selbst derBeweis, das Bewußtsein meines ganzen Lebens sagt mir, daß diese Grundsätze mit mir, mit meiner Empfindungsart innig verwebt sind, und es von jeher waren. Ich kann und werde sie nie verläugnen.« Doch die Menschheit sei noch nicht reif dafür, meint er, und das Schlimmste, »die Herrschaft, oder besser, die Tyrannei der Vernunft, vielleicht die eisernste von allen«, stehe ihr noch bevor. »Bis endlich einmal, wenn die Welt nicht wirklich das Werk des Ungefährs oder das Spiel eines Teufels ist, eine allgemeine Simplizität der Sitten, Beschäftigungen, Wünsche und Befriedigungen, eine Reinheit der Empfindung, und eine Mäßigung des Vernunftgebrauches aus allen diesen Revolutionen hervorkeimt, und ein Reich der Liebe beginnt, wie es sich gute Schwärmer von den Kindern Gottes träumten.«
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[ 1 ] In diesem Morgenrot war's Seligkeit zu leben, doch jung zu sein, das war der Himmel.
[ 2 ] Zu den Waffen, Brüder! / Schließt die Reihen, / Marschieren wir, marschieren wir / Auf daß unreines Blut / die Furchen unserer Äcker tränke.
I Fraternité:
Helen Maria Williams
Alles, was heutzutage das menschliche Leben an Annehmlichkeiten kennt, ist aus der gegenseitigen Hilfe der Menschen entsprungen. Nächst Gott gibt es nichts in der Welt, was dem Menschen mehr hilft und nützt als der Mensch selbst.
Samuel von Pufendorf
1 Helen Maria Williams.
Stich von Ozias Humphrey, 1791.
Sieben/Vierzehn/Neunundachtzig
2 Titelseite des Journal de Paris, 14. Juli 1789.
Zeitungen sind jüngere Verwandte der Kalender. Das merkt man dem Journal de Paris noch deutlich an, zugleich aber auch das moderne Bedürfnis nach wissenschaftlich präziser Vermessung der Welt. Stadt und Erdkreis! Jede Nummer dieser ersten, ältesten Zeitung Frankreichs verortet ihre Leser in Zeit und Raum, zwischen Tag und Nacht, Licht und Finsternis, Sonnenaufgang und -untergang, dem Anzünden und Löschen der Laternen. Die Wetterberichte allerdings waren Wetternachhersagen, sie kamen mit zweitägiger Verspätung. Dafür aber stimmten sie, jedenfalls meistens.
Am 16. Juli konnte man nachlesen, wie das Wetter am 14. gewesen war: Bedeckt, ziemlich kühl, mit einer Mittagstemperatur von 17,8° Réaumur (22,25° Celsius) und starkem Ostwind. Erst gegen fünf Uhr nachmittags war die Sonne durchgekommen, die an diesem Tag um acht Minuten nach vier aufgegangen war. Als die Laternen genau um Mitternacht gelöscht wurden, war ein Tag zu Ende gegangen, der die Welt veränderte, indem er der Revolution, die bisher als evolutionärer Prozeß verlaufen war, ihren Gründungsmythos bescherte. Bürger von Paris hatten die Bastille erstürmt, die alte düstere Festung, die den französischen Königen seit Jahrhunderten als Staatsgefängnis diente. »Die ernste heilige Freiheit ist zum ersten Mal in
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