Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
diesem Ort des Schreckens aufgetreten, diesem grauenvollen Asyl des Despotismus, der Ungeheuer und der Verbrechen.«
Es hatte viele Opfer gegeben, über hundert Tote und Verletzte, und der Festungskommandant Launey war von der wütenden Menge mißhandelt und ermordet worden. Eigentlich war das Resultat dieser Aktion wenig eindrucksvoll. Sieben Gefangene hatte man gefunden: vier rechtmäßig verurteilte Fälscher, einen Grafen, den seine Familie seines ausschweifenden Lebens wegen hatte einsperren lassen, und zwei alte, geistig verwirrte Männer. Beethoven hat in seinem Fidelio die Befreiung aus den dunklen Verliesen der Tyrannei entschieden eindrucksvoller in Szene setzen können, mit einem ganzen Chor von Gefangenen: »O welche Lust, / Den Atem leicht zu heben!« Aber was warenschon Fakten und Zahlen gegen die Symbolkraft dieses Ereignisses!
3 Die Bastille in den ersten Tagen nach ihrer Zerstörung.
Ölgemälde von Hubert Robert.
In den vorausgehenden Jahren war die Bastille in ganz Europa zum Inbegriff despotischer Willkürherrschaft geworden, ausgelöst durch ein Buch, die Denkschrift über die Bastille , die ein ehemaliger Häftling, der Journalist und Historiker Simon-Nicolas-Henri Linguet, 1783 im englischen Exil veröffentlicht hatte. Als erster brach er das Schweigegelübde, das der Staat allen Gefangenen der Bastille vor ihrer Entlassung abverlangte und das sie zum »Mysterium des Schreckens« hatte werden lassen. Seine Geschichte erregte Aufsehen – noch im Jahr der Veröffentlichung erschienen allein in deutschen Landen fünf Übersetzungen. Wahre und fiktive Gefängnisliteratur wurde regelrecht Mode, wozu auch die damals weitverbreitete Angst, lebendig begraben zu werden, beitrug. »Kaum ein Jahr verging ohne einen neuen Beitrag zu diesem Genre. Die Veröffentlichungen setzten die üblichen Techniken der Schauerliteratur ein, um Gefühle von Abscheu und Furcht, gemischt mit Puls beschleunigenden Momenten der Hoffnung zu erzeugen«, schreibt Simon Schama abwiegelnd, doch auchden Fiktionen lagen sehr reale Schrecken zugrunde. Willkürjustiz gab es überall.
Nirgendwo allerdings wurden Recht und Gerechtigkeit wohl so mit Füßen getreten wie in Frankreich, wo gewissermaßen jeder Ort seine Bastille hatte. Nicht nur in Paris, auch in den Provinzen gab es viele Gefängnisse, in denen Menschen ohne Prozeß und Verurteilung festgehalten wurden, manchmal lebenslang. »Die Bastillen Frankreichs haben verschlungen und verschlingen noch täglich Männer vom ersten Rang, und zwar ohne Ansehen ihres Vaterlandes. Mit Recht könnte man die Eingänge zu diesen Schlünden mit dem Denkspruch bezeichnen, welcher auf den Türen der Kirchhöfe geschrieben zu sein pflegt – hodie mihi cras tibi [heute ich, morgen du]«.
Es war schon schlimm genug, daß einfache Bürger kaum die Chance hatten, zu ihrem Recht zu kommen, das Prozessieren war einfach zu teuer und langwierig. Der eigentliche Skandal aber waren die berüchtigten lettres de cachet , versiegelte Haftbefehle. Die von einem Minister gegengezeichnete Unterschrift des Monarchen reichte aus, um Menschen einzusperren oder außer Landes zu bringen. Für Personen von Rang und Einfluß waren diese »furchtbaren Blitzstrahlen« ein bequemes Mittel, um politische Gegner, Konkurrenten in Erbstreitigkeiten, aufsässige Söhne und Töchter, überhaupt jede mißliebige Person aus dem Weg zu räumen. Umgekehrt konnte der König mit einem lettre de cachet gnadenhalber Günstlinge auch vor Verfolgungen der Justiz schützen. Lange Zeit hat man von dieser Lizenz so häufig Gebrauch gemacht, daß die Polizeichefs einen Vorrat von lettres de cachet bereithielten, in die dann nur noch der Name des zu Verhaftenden eingetragen werden mußte.
Gegen diese Willkürjustiz war denn auch die erste gesetzgeberische Maßnahme der neuen Nationalversammlung gerichtet. Im März 1790 wurde ein Décret sur les Lettres de cachet erlassen, das die Öffnung aller französischen Bastillen verfügte. »Innerhalb von sechs Wochen nach der Veröffentlichung des vorliegenden Dekrets werden alle Personen, die in Schlössern, Klöstern,Zuchthäusern, Polizeistationen und Gefängnissen jeglicher Art entweder auf Grund von lettres de cachet oder durch Anordnungen der Exekutive gefangen gehalten werden, in Freiheit gesetzt, zumindest wenn sie nicht –«
Es folgen viele einschränkende Klauseln, die bald um weitere ergänzt wurden. Sie lassen erkennen, wie sehr die Gesetzgeber darum bemüht waren, ja
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