Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
geboren, um zu leiden, und er hatte beschlossen, sie, soweit es in seiner Macht stand, dieses natürlichen Erbes nicht zu berauben.« Bei der schwachen Mutter findet das sensible Kind weder Liebe noch Unterstützung, der Altersabstand zu den Brüdern ist zu groß, als daß sie ihm etwas bedeuten könnten. Der einzige Mensch, der mit ihm fühlt und dem er sich anvertrauen kann, ist die Gesellschafterin seiner Mutter, ein junges Mädchen bürgerlicher Herkunft namens Monique Coquerel. Es kommt, wie es kommen muß. Die beiden verlieben sich ineinander, und das bleibt nicht ohne Folgen. Monique wird schwanger. Heimlich läßt sich Monsieur du Fossé mit ihr trauen.
Als der Vater von der Mesalliance erfährt (das Kind, ein Sohn, hat die Geburt nicht lange überlebt), ist er außer sich vor Wut, finster entschlossen, den unbotmäßigen Sohn zur Raison zu bringen. Selbst in England, wohin sich Monsieur du Fossé mit seiner Frau geflüchtet hat, spürt er ihn auf. Mit List und Tücke gelingt es ihm, den Sohn nach Frankreich zurückzulocken, wo er ihn mittels eines (freilich nur vorgetäuschten) lettre de cachet in den Verliesen des Manoir de St. Yon bei Rouen, eines von Mönchen betriebenen Pensionats, verschwinden läßt.
Diese Bastille des Herrn von F. ist ein grauenvoller Ort. Die Zellen sind düster, feucht und im Winter eiskalt. Die meisten seiner Leidensgenossen sind in der langen Gefangenschaft wahnsinnig geworden. Ein alter Mann, der in der Nachbarzelle sitzt, ist seit vierzig Jahren eingesperrt. Sein grauer Bart hängt bis zur Taille hinab, er ist am Hals an der Wand angekettet, darf seine Zelle nicht verlassen und ist völlig verstummt. Monsieur du Fossé hört nur das Rasseln seiner Ketten.
Bei einem Fluchtversuch stürzt er vom Dach des Manoir auf die Straße und wird schwer verletzt. Zwar läßt ihn sein unbarmherziger Vater wieder einsperren, aber diesmal gibt es Zeugen. Das Mitgefühl mit dem Schicksal des unglücklichen jungen Mannes ist allgemein. Zum Schein läßt ihn der Baron in Freiheit setzen. Mit Hilfe neuer, diesmal echter lettres de cachet will er ihn erst verbannen und dann in ein Gefängnis im Süden des Landes verschleppen lassen, »einen Ort, wo sein Stöhnen weder Mitleid noch Rache finden würde«. Der teuflische Plan scheitert. Gewarnt von Freunden, flieht Monsieur du Fossé ein zweites Mal nach England, zu seiner Frau und ihrem Töchterchen. »Er stürzte in das Zimmer, flog in ihre Arme – drückte sie stumm an seine Brust. Sie konnte keine Träne vergießen, erst nachdem er sich lange darum bemüht hatte, sie durch seine Zärtlichkeit zu beruhigen, fand sie Erleichterung im Weinen.«
Die finanziellen Nöte des Paars waren damit freilich noch nicht zu Ende. Die beiden mußten sich mit Sprachunterricht über Wasser halten, und so kam es, daß Helen Maria Williams die Bekanntschaft des Ehepaares machte und ihre Leidensgeschichte hörte. »Wie groß war mein Erstaunen, als ich vom Despotismus einer Regierung erfuhr, die sich die Macht anmaßte, indas Privatleben ihrer Bürger einzudringen und Bande zu zerreißen, die die heiligsten Gesetze geschlossen hatten?« schreibt sie in ihren Souvenirs und behauptet kühn: »Wir weinten noch, als die Revolution ausbrach.« Das war drei Jahre später.
Im Sommer 1789 – der böse Baron war inzwischen gestorben – reiste Monsieur du Fossé mit der Familie zurück in die Heimat, wo sie einen Tag vor der Erstürmung der Bastille eintrafen. »Man gab ihm seine Güter und angestammten Rechte zurück, er fand seine Ländereien und sein Schloß wieder, und, was noch wichtiger ist, sein Glück. Das war der Tag des Triumphes für die Unterdrückten. Meine Schwester und ich wurden eingeladen, sie zu besuchen und Zeugen der späten Gerechtigkeit und des so lang erwarteten Glücks zu sein; und diese Reise gab uns Gelegenheit, in Paris das erste große Fest der Föderation zu sehen. Die Eindrücke dieses denkwürdigen Tages haben meine politischen Ansichten für immer befestigt. Keiner, der ihn erlebte, hat ihn je vergessen können.«
Dichterin
»Miss Helen Williams ist ohne Zweifel eine echte Dichterin. Aber ist es nicht höchst ungewöhnlich, daß eine solche Begabung, daß eine Frau und eine so junge Frau, zum Politiker werden sollte? Daß die schöne Helena, deren Töne der Liebe die mondbeglänzten Täler verzauberten, als zügellose Anwältin gallischer Ausschweifungen in vorderster Reihe stehen würde? Daß eine solche Frau einen Pesthauch
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