Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
auf dem letzten Wort. »Ich kann Ihnen die Quittung zeigen.«
»Er hat Ihnen einen guten Dienst erwiesen«, sagte Vianello lächelnd. »Viel besser als das alte Plastikding mit dem Sprung an der Seite.«
»Sergio dachte, das merkt keiner«, sagte Bambola wieder munter.
»Ha!«, machte Vianello. »Hier möchte man doch gleich zugreifen.« Und schon ließ er seinen Worten Taten folgen: Er klappte die Vitrine auf, nahm eine Serviette und angelte eine mit Creme gefüllte Brioche aus dem oberen Fach. Als er hineinbiss, stäubte ihm Puderzucker auf Kinn und Hemd. »Aber die müssen bleiben, Bambola«, sagte er und schleckte sich den Zuckerbart weg.
Der Barmann stellte zwei Kaffee auf den Tresen, daneben für Vianello einen kleinen Keramikteller.
»Keine Pappteller. Gut«, bemerkte Vianello und legte die angebissene Brioche ab.
»Das wäre unvernünftig, Ispettore«, sagte Bambola. »Ökologischer Wahnsinn. So viel Pappe für Teller, die man ein einziges Mal benutzt und dann wegwirft.«
»Oder recycelt«, meinte Brunetti.
Bambola ging mit einem Achselzucken darüber hinweg – die übliche Reaktion. Niemand in der Stadt wusste, was mit dem Müll geschah, den sie alle so sorgfältig trennten: Brunetti blieb nur die Hoffnung.
»Das beschäftigt Sie?«, fragte Vianello. Um Verwirrung zu vermeiden, stellte er klar: »Recycling?«
»Ja«, sagte Bambola.
»Warum?«, fragte Vianello. Bevor der Barmann antworten konnte, kamen zwei Männer herein und bestellten Kaffee und Mineralwasser. Sie verzogen sich ans andere Ende des Tresens.
Als sie versorgt waren und Bambola zurückkam, hakte Vianello noch einmal nach. »Interessiert Sie das, weil Sergio damit Geld sparen kann? Wenn er keine Pappteller benutzt?«
Bambola nahm ihre Tassen und Untertassen, tauchte sie kurz ins Waschbecken und stellte sie in die Spülmaschine.
»Ich bin Ingenieur, Ispettore«, erklärte er schließlich. »Also interessiert mich das schon von Berufs wegen. Der Kreislauf von Konsum und Produktion.«
»Ich dachte mir, dass Sie studiert haben«, sagte Vianello. »Aber ich wusste nicht, wie ich Sie danach fragen sollte.« Er wartete, um zu sehen, wie Bambola das aufnahm, und fragte dann: »Worauf haben Sie sich spezialisiert?«
»Hydraulik. Wasseraufbereitung. Solche Sachen.«
»Verstehe.« Vianello nahm Kleingeld aus seiner Tasche und zahlte für sie beide.
»Wenn Sie Sergio sehen«, sagte Brunetti beim Hinausgehen, »grüßen Sie ihn bitte, und wünschen Sie ihm gute Besserung.«
»Mach ich, Commissario«, sagte Bambola und wandte sich den beiden Männern am Ende des Tresens zu.
Brunetti hatte erwartet, Vianello werde noch einmal von seiner Tante anfangen, aber das Bedürfnis, über sie zu reden, war anscheinend in der Questura zurückgeblieben, und Brunetti, der dieses Gespräch ohnehin nicht unbedingt fortsetzen wollte, rührte nicht daran.
Draußen traf sie die Sonne wie ein Peitschenschlag, und sie blieben unwillkürlich stehen. Bis zur Questura waren es nur zwei Minuten zu Fuß, aber während sie in der Bar gestanden hatten, schien sich die Strecke in der Hitze ausgedehnt zu haben, und es kam ihnen vor, als müssten sie durch die halbe Stadt. Die Sonne brannte auf den Gehweg am Kanal. Touristen saßen unter Schirmen vor der Trattoria auf der anderen Seite der Brücke. Brunetti sah kurz hinüber: Nichts rührte sich. Konnte es sein, dass die Hitze sie ausgetrocknet hatte, und da waren nur noch leere Hülsen, wie tote Heuschrecken? Dann aber trug ein Kellner ein großes Glas mit einer dunklen Flüssigkeit zu einem der Tische, und der Gast drehte langsam den Kopf danach um.
Sie brachen auf. Gewässer verbreiteten Kühle, sollte man meinen, doch die unbewegte dunkelgrüne Oberfläche des Kanals schien das Licht und die Hitze nur mit doppelter Kraft zurückzuwerfen. Statt Linderung kam von dort nur Feuchtigkeit. Sie schleppten sich weiter.
»Ich hatte keine Ahnung, dass er Ingenieur ist«, sagte Vianello.
»Ich auch nicht.«
»Mit Spezialgebiet Hydraulik«, fügte Vianello mit unverhohlener Bewunderung hinzu. Bis zum Eingang der Questura waren es nur noch wenige Schritte. Der Wachposten hatte sich verständlicherweise nach drinnen verzogen.
Brunetti fuhr sich mit dem Hemdsärmel übers Gesicht und fragte sich, wie er so dumm gewesen sein konnte, an diesem Tag ein Hemd mit langen Ärmeln anzuziehen. »Wie lange ist er schon hier?«, fragte er auf dem Weg zur Treppe.
»Weiß nicht mehr genau. Drei, vier Jahre. Vermutlich die meiste Zeit
Weitere Kostenlose Bücher