Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
waren. Er kannte ihren Namen und hatte keine gute Meinung von ihr, obwohl er auf Nachfrage keinen Grund dafür hätte angeben können. Was man eben so hörte oder mitbekam, ein gewisser Tonfall, wenn ihr Name im Gespräch genannt wurde. Und hatte nicht vor Jahren einmal ein Informant eine Bemerkung fallen lassen? Nein, nicht direkt, nur eine Andeutung, und die bezog sich nicht auf sie selbst, sondern auf jemanden aus ihrer Familie. Der Name des Justizangestellten, der die Papiere unterschrieben hatte, sagte ihm nichts.
Er sah von den Papieren auf. »Ich vermute, diese Aufschübe bringen einer der beiden Prozessparteien einen Vorteil und Richterin Coltellini ist daran nicht unbeteiligt.«
Brusca nickte ermunternd und wies mit dem Kinn auf die Papiere, als fordere er einen vielversprechenden Schüler zum Weiterdenken auf.
»Wenn das heißt, dass ich hier noch mehr vermuten soll, dann vielleicht, dass die Person, die das abgezeichnet hat, ebenfalls nicht unbeteiligt ist.«
»Araldo Fontana«, sagte Brusca. »Vom Tribunale. 1975 hat er dort angefangen, zehn Jahre später wurde er zum obersten Gerichtsdiener befördert, und das ist er bis heute. Nach Plan wird er am 10. April 2014 in den Ruhestand gehen.«
»Farbe seiner Unterwäsche?«, fragte Brunetti trocken.
»Sehr komisch, sehr komisch, Guido.«
»Na schön. Vergiss die Unterwäsche, und erzähl mir von ihm.«
»Als oberster Gerichtsdiener hat er dafür zu sorgen, dass Akten termingerecht bearbeitet und weitergeleitet werden.«
»Und ›bearbeitet und weitergeleitet‹ bedeutet…?«
Brusca lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und winkte mit der Hand unsichtbare Akten durch. »Es gibt ein zentrales Aktenarchiv. Werden während einer Anhörung oder Verhandlung Unterlagen gebraucht, sorgen die Gerichtsdiener dafür, dass sie in den richtigen Sitzungssaal gebracht werden, damit der Richter sich erforderlichenfalls Einblick verschaffen kann. Nach der Sitzung legen die Gerichtsdiener die Dokumente dann wieder ab und holen sie zum nächsten Termin wieder hervor. Erst nach dem Urteilsspruch kommen alle Prozessunterlagen ins Depot.«
»Aber?«
»Aber manchmal gehen Unterlagen verloren oder werden nicht zugestellt, und wenn sie nicht da sind, sieht der Richter sich gezwungen, den Termin ausfallen zu lassen und einen neuen anzuberaumen. Und wenn dann gerade ein Feiertag in der Nähe ist, wird der Richter ihn wohl auf die Zeit nach dem Feiertag verlegen, in jedem Fall aber muss er einen freien Termin im Gerichtskalender finden, und somit kann es zu langen Verzögerungen kommen.«
Brunetti nickte: So hatte er sich das ungefähr vorgestellt. »Dann verrate mir«, sagte er, »denn dir zu lauschen, das ist, als habe man sein Ohr am Puls der Gerüchteküche, was geht hier vor?«
Brusca deutete ein Lächeln an, aus dem keine Belustigung sprach, sondern mit dem er vielmehr vor der Natur kapitulierte, wie sie nun einmal war, nicht wie irgendwer sie gern hätte. »Bevor ich davon anfange, was da vielleicht vor sich gehen könnte, muss ich etwas vorausschicken.« Er schwieg lange genug, um sicher zu sein, dass er Brunettis volle Aufmerksamkeit besaß, und fuhr dann fort: »Fontana ist ein äußerst korrekter Mensch. Das klingt altmodisch, ich weiß, aber er ist eben auch ein altmodischer Mensch. Er könnte eher zur Generation unserer Eltern gehören: So reden die Leute von ihm. Er kommt täglich mit Schlips und Kragen zur Arbeit, tut seine Pflicht, ist zu jedermann höflich. Ich habe in all diesen Jahren nie etwas Negatives über ihn gehört, und in der Regel landet so etwas immer bei mir. Früher oder später bekomme ich so gut wie alles mit. Über Fontana aber nie ein schlechtes Wort, außer dass er farblos und schüchtern ist.«
Brunetti hatte den Eindruck, Brusca sei fertig, also fragte er: »Und warum steht dann sein Name auf diesen Dokumenten? Und warum hältst du es für angebracht, mir das zu zeigen?« Dann fiel ihm noch ein: »Und wie bist du überhaupt an diese Papiere gelangt?«
Brusca senkte den Blick, dann sah er Brunetti an, dann die Wand, dann wieder Brunetti. »Die hat mir jemand gegeben, der beim Tribunale arbeitet.«
»Zu welchem Zweck?«
Brusca zuckte die Achseln. »Vielleicht, damit die Information durch die Mauern des Tribunale dringt.«
»Das ist offenbar gelungen«, sagte Brunetti, ohne dabei zu lächeln. »Sagst du mir, von wem du das hast?«
Brusca ging über die Frage hinweg. »Das spielt keine Rolle, außerdem habe ich ihr
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