Auf und davon
laufen. Nicht sonderlich schnell. Mit ein bißchen
Glück würde er am ersten Laufmal bereits ausscheiden. Dann konnte er sich für
den Rest des Spiels unter den großen Baum ins kühle Gras setzen. Er erreichte
das erste Mal, und jemand brüllte immer noch: „Lauf!“ Nathan war verwirrt. Wo
war der Ball? Obwohl er ihn nicht getroffen hatte, konnte er einen halben Punkt
machen, wenn er einmal ganz um den Platz herumkam. Er lief weiter. „Nicht du,
Nathan!“ riefen ein Dutzend Stimmen — doch es war zu spät. Nathan erreichte das
zweite Mal, aber Jennifer, die direkt vor ihm war und losrennen mußte, weil er
gerannt war, schaffte das dritte Laufmal nicht. „Jennifer ist draußen“, sagte
Mrs. Henrey.
„Ich glaube, es gibt da eine neue Regel“,
meinte jemand hoffnungsvoll.
Doch Mrs. Henrey wußte nichts von einer
neuen Regel. „Jennifer ist draußen“, bestimmte sie.
„Du bist schuld“, sagte Jennifer wütend
zu Nathan.
„Bin ich nicht“, erwiderte Nathan. Doch
er war schuld, und er wußte es.
„Natürlich ist es deine Schuld“, sagte
Paul.
„Es war seine Schuld“, sagten drei oder
vier andere gleichzeitig. Jennifer war die beste Schlägerin in Pauls
Mannschaft. Sie bildeten eine feindselige Meute, die Nathan einkreiste.
Nathan war wütend auf sich selbst und
mußte losschlagen, und so traf es den, der am nächsten stand. Es war zufällig
auch ein dunkelhäutiger Junge, ein ziemlich kräftiger. Wayne hieß er. Wayne
schlug zurück, und Nathan flog die Brille von der Nase. Jetzt verlor Nathan
vollkommen die Beherrschung. Wut verlieh seinen dünnen Armen Kraft, er schlug
Wayne zu Boden und drosch auch noch auf ihn ein, als seine Nase bereits zu
bluten begann. Mrs. Henrey mußte Paul und Sanjay zu Hilfe holen, um die beiden
Kampfhähne zu trennen.
„Jetzt schaut euch bloß an, wie ihr
ausseht“, sagte Mrs. Henrey. „Wer hat diesmal wieder angefangen?“
Alle waren sich einig, daß Nathan der
Schuldige war.
„Okay“, meinte Mrs. Henrey. „Wir gehen
zurück zur Schule. Und du, Nathan, meldest dich sofort bei Mr. Barlowe. Mir
reicht es jetzt mit dir. Alles aufstellen.“
Natürlich wurde gejammert und
gebettelt, doch Mrs. Henrey blieb hart. Murrend stellte sich die Klasse wieder
in einer Zweierreihe auf. Nathan fand seine Brille, die zum Glück nicht kaputt
war, und tappte zum Ende der Reihe.
Julia war erleichtert, daß es zur
Schule zurückging, doch sie mußte feststellen, daß man ihr ihren Fehler noch
nicht verziehen hatte.
„Warum wirfst du nicht stärker?“
zischte Sharon ihr zu, als sie sich aufgestellt hatten. „Du wirfst ja wie ein
Baby.“ Im Grund war Sharon wütend, weil sie zur Schule zurück mußten. Doch mit
Nathan, dessen Schuld es war, würden sich die Jungen befassen, und sie wollte
ihre Wut auch an jemandem auslassen. „Warum wirfst du nicht anständig?“ raunzte
sie Julia an.
„Weil ich nicht will“, erwiderte Julia,
schürzte die Lippen und warf die dünnen Zöpfe zurück. Sie bemerkte, daß Sharon
Kaugummi kaute, was strengstens verboten war. Sie trat neben Mrs. Henrey und
flüsterte ihr ins Ohr: „Sharon kaut Kaugummi.“
„Nimm den Mist aus dem Mund, Sharon“,
sagte Mrs. Henrey ärgerlich. „Und du, Julia, petz nicht.“
Warum fällt es mir nur immer zu spät
ein, daß Mrs. Henrey es nicht mag, wenn man petzt? fragte sich Julia
verbittert. Und warum verpetzte sie ausgerechnet Sharon, wo sie Sharon doch so
gern zur Freundin gehabt hätte? Wie es schien, konnte sie einfach nicht anders.
Petzen war die einzige Möglichkeit für Julia, es den anderen heimzuzahlen, wenn
sie ihr weh taten. Die schlechtgelaunte Prozession bewegte sich die Straße
hinunter. Nathan, der eigentlich wieder mit Julia gehen sollte, blieb ein gutes
Stück zurück. Er hob die Füße nicht beim Gehen und murmelte finster vor sich
hin. Mrs. Henrey ließ die ganze Schlange anhalten, damit er aufschließen
konnte. Paul, der sich von seinem Ruf als Heiliger wieder einmal lossagte,
flüsterte ihm zu: „Wir kriegen dich, Nathan, nach der Schule.“ Wayne, das
Gesicht immer noch blutverschmiert von der Schlägerei, drehte sich ebenfalls um
und gab seinen Teil dazu: „Ja, du kriegst es mit uns allen zu tun. Du bist
schuld, daß wir nicht weiterspielen durften.“
Nathan wußte, daß sie es ernst meinten.
Er war kein Feigling, aber alle gegen einen konnte nur schlecht für ihn
ausgehen. Er brütete vor sich hin. Die Prozession näherte sich der Einmündung
einer Seitenstraße. Nathan sah
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