Auf zwei Planeten - Ungekürzte Ausgabe in zwei Büchern
durcheilte. Aber sie kannte auch nicht die Gefahren dieses mürben, abbröckelnden Elements, auf dessen überhängender Kante sie ruhte. Um besser hinabzublicken, zog sie sich an der Stange weiter und stemmte ihre Füße gegen einen Vorsprung des Randes. Der Vorsprung brach. Zerstiebend stürzte er in die Tiefe. Ihr Fuß verlor die Stütze. Sie wollte sich wieder hinaufschwingen, aber die Last war zu schwer für ihre Kräfte. Der unförmliche Helm hinderte sie, ihren Oberkörper frei an dem Steg zu bewegen, an welchen sie sich geklammert hielt. Sie rief um Hilfe, doch die Stimme drang nur schwach unter dem Helm hervor. Eine erneute Anstrengung brachte ihren Körper höher, aber nun glitt die Stange aus ihrer Lage, ihre Hände verloren den Halt – La stürzte in den Abgrund.
Ihr Angstschrei verhallte zwischen den Eiswänden der Spalte. Aber der Helm, der ihren Absturz verschuldete, wurde vorläufig zu ihrem Retter. Sie fiel auf die Stelle, welche der auf dem Grat ruhende Felsblock verengte, und der elastische Helm hemmte den Sturz. Er war zertrümmert, aber sie selbst fühlte sich unverletzt, sie hatte das Bewußtsein nicht verloren. Mit den Armen sich festklammernd, lag sie auf dem Felsen, unter sich die finstere Tiefe, über sich den schmalen Lichtstreifen des Himmels, unfähig, sich zu bewegen. Sie vermochte nichts zu ihrer Rettung zu tun, Minute auf Minute verrann. Wann würde man sie bemerken? Konnte sie gerettet werden? Sie war vollkommen ruhig. Das Bild der fernen Heimat stieg vor ihr auf. »Noch einmal möcht ich ihn sehen, meinen schönen Nu«, so klang es in ihr, »aber wenn es nicht sein soll, so füg ich mich Deinem Willen im Weltenplan.«
Da vernahm sie Rufe über sich. Ein Kugelhelm wurde sichtbar. Die Martier hatten ihr Verschwinden bemerkt, sie ward gesehen. Man rief ihr zu, sie möge Mut fassen, man werde den Aufzug herbeischaffen. Sie wußte, daß darüber lange Zeit vergehen müsse; die Martier konnten nur langsam arbeiten. Und sie fühlte, wie die Kälte der Schlucht ihre Glieder erstarren ließ.
Plötzlich hörte sie oben erneute Rufe und schnelle Schritte. Eilende Gestalten schwangen sich über den Steg. La wußte, wer es war. Saltner war mit den beiden Eskimos zurückgekehrt. Kaum hatte er erkannt, was geschehen war, als er sich auch sofort anseilte und von seinen beiden Begleitern in den Spalt hinabsenken ließ. La sah, wie seine Gestalt näher und näher kam. Mit der einen Hand hielt er sich von der Wand der Spalte ab. Und nun kniete er neben ihr auf dem Felsblock. Er löste den Rest ihres Helmes geschickt von ihren Schultern; dumpf donnerte er in den Abgrund. Dann hob er sie empor und sagte besorgte Worte, die sie nur halb verstand. Jetzt erst erfaßte sie der Schwindel, und das Bewußtsein drohte sie zu verlassen. Aber sie fühlte, daß Saltner sie fest umschlang, und in diesem Augenblick wußte sie sich geborgen. Jetzt rief er mit lauter Stimme in seiner Muttersprache nach oben: »Ein zweites Seil!«
La lächelte, ihn dankbar ansehend, und sagte leise: »Kalalek nicht verstehen.«
»Doch, doch!« erwiderte Saltner. Und wirklich, der jüngere der beiden Eskimos rief die deutschen Worte hinab:
»Nicht hier. Warten. Nume kommen.«
La blickte ihn fragend an. Aber er antwortete nicht, er sah, daß sie fror.
»Werft die Decke herab!« rief er.
Man schien ihn jetzt nicht zu verstehen. »Was heißt auf grönländisch Decke?« fragte er.
»Kepik.«
»Kepik!« rief er hinauf.
Eine wollene Decke wurde hinabgeworfen. Saltner schlug den Pickel fest in die Wand und beugte sich weit vor, um sie aufzufangen. Es gelang. Er hüllte La hinein. Er zog seine Feldflasche heraus, die er vorsorglich aus den geretteten Reisevorräten mit Kognak gefüllt hatte. La wußte zwar damit nicht Bescheid, aber er flößte ihr etwas von dem feurigen Getränk ein, das ihr sehr wohltat.
Er berichtete kurz. Sein Ausflug war ohne entscheidenden Erfolg geblieben. Der fragliche Gegenstand war eine der im Ballon befindlichen Decken gewesen, dieselbe, die La jetzt einhüllte. Aber ob sie von Torm mitgenommen und dort zurückgelassen war oder ob sie aus dem Ballon bei seinem Flug verloren und vom Wind hingetrieben worden war, ließ sich nicht feststellen; das letztere war sogar das wahrscheinlichere. Dabei hatte sich überraschenderweise herausgestellt, daß der Sohn des Eskimos einige Worte deutsch verstand. Er war ein Jahr in Diensten deutscher Missionare auf Grönland gewesen und hatte einzelne Worte aufgefaßt, als
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