Auferstehung 1. Band
thun hatte. Der Advokat betrachtete die Blumenihres Hutes, nickte zustimmend mit dem Kopfe und hörte augenscheinlich gar nicht auf sie.
Plötzlich öffnete sich eine kleine Thür und strahlend, sein steifes Hemd auf der tiefausgeschnittenen Weste zeigend, erschien schnellen Schrittes mit zufriedener Miene derselbe berühmte Advokat, der es bewirkt hatte, daß die alte Frau mit den Blumen ohne alle Mittel dastand, und daß der Gegner gegen Zahlung von 10 000 Rubeln, die er ihm für sein Plaidoyer gegeben hatte, 100 000 erhielt, auf die er kein Anrecht hatte. Er ging an der alten Dame vorüber. Aller Augen wandten sich ihm respektvoll zu und er war sich dessen auch klar, doch seine ganze Persönlichkeit schien zu sagen: »Bitte, meine Herren, sparen Sie die Zeichen Ihrer Bewunderung!«
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Endlich kam Mathias Nikitisch, der Richter, auf den man wartete. Sofort sahen die Geschworenen den Gerichtsnuntius, einen kleinen, mageren Mann mit zu langem Hals und ungleichmäßigem Gange, in das Zimmer treten, in welchem sie versammelt waren. Dieser Nuntius war übrigens ein braver Mann, der alle seine Studien auf der Universität absolviert hatte; doch er konnte es nirgends aushalten, weil er trank. Vor drei Monaten hatte ihm eine Gräfin, die sich für seine Frau interessierte, diese Stellung als Nuntius im Justizgebäude verschafft, und er hatte sich bis jetzt dort zu halten vermocht, worüber er sich wie über ein Wunder freute.
»Nun, meine Herren, sind alle da?« fragte er, setzte sein Pincenez, bald darüber weg ansah.
»Ich glaube, ja,« versetzte der joviale Kaufmann.
»Wir wollen 'mal sehen,« sagte der Nuntius.
Er zog eine Liste aus der Tasche und begann die Namen aufzurufen, wobei er die Geschworenen, bald durch sein Pincenez auf und sah die Geschworenen an.
»Der Staatsrat J. M. Nikisoroff?«
»Hier!« versetzte die wichtige Persönlichkeit, die alle Prozesse aus dem Ff. kannte.
»Oberst a. D. Iwan Semenowitsch Iwanoff?«
»Hier!« antwortete der Mann in der Uniform.
»Der Kaufmann zweiter Gilde Peter Baklaschoff?«
»Anwesend!« versetzte der joviale Kaufmann und blickte die ganze Gesellschaft mit freundlichem Lächeln an. »Ich bin bereit!«
»Der Gardehauptmann Fürst Dimitri Nechludoff?«
»Hier!« sagte Nechludoff.
Der Nuntius verneigte sich mit einem Gemisch von Unterwürfigkeit und Liebenswürdigkeit, als wollte er Nechludoff dadurch vor den übrigen Geschworenen auszeichnen. Dann setzte er die Aufzählung fort:
»Der Hauptmann Georg Dimitrijewitsch Dantschenko? Der Kaufmann Gregor Efimowitsch Kuletschoff u.s.w. u.s.w.«
Alle Geschworenen waren anwesend, bis auf zwei.
»Und nun, meine Herren, haben Sie die Güte, in den Schwurgerichtssaal hineinzugehen!« sagte der Nuntius und zeigte mit einladender Miene auf die Thür.
Alle setzten sich in Bewegung und verließen den Saal; ein jeder trat höflich vor der Thür beiseite, um seinen Kollegen durchzulassen.
Der Schwurgerichtssaal war ein großer Saal in länglicher Form, in dessen Hintergrunde eine Estrade von drei Stufen errichtet war. In der Mitte der Estrade stand ein mit einer grünen Decke belegter Tisch mit Franzen von noch dunklerem Grün; hinter dem Tisch erblickte man drei Sessel mit hoher Lehne aus geschnitzter Eiche; hinter diesen Sesseln hing an der Wand in einem vergoldeten Rahmen ein Porträt in schreienden Farben, das den Kaiser in großer Uniform, den Großcordon um den Hals, mit gespreizten Beinen, und eine Hand auf dem Degengriff, darstellte. In dem rechten Winkel hing in einer Nische das Bild des mit Dornen gekrönten Christus; davor stand ein Pult und rechts von der Estrade befand sich das kleine für den Staatsanwalt bestimmte Katheder. Links im Hintergrunde stand der Tisch des Aktuars; davor in der Nähe des Publikums umschloß eine Holzschranke die Anklagebank, die jetzt noch, wie der Rest der Estrade, leer war. Auf der rechten Seite desselben, der Anklagebank gegenüber, warteten eine Reihe von Sesseln auf die Geschworenen, und unter ihnen waren Tische für die Advokaten aufgestellt. Was den andern Teil des Saales betraf, der von der Estrade durch ein Gitter getrennt war, so wurde er von erhöhten Sitzen gebildet, die sich bis zur Hinterwand erhoben. In den ersten Reihen dieserBänke saßen vier wie Arbeiterinnen oder Dienstmädchen gekleidete Frauen, die von zwei Männern begleitet wurden, die augenscheinlich Arbeiter waren. Diese kleine Gruppe war von der Größe der Estradendekoration tief bewegt, denn sie
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