Auferstehung 1. Band
unterhielten sich nur schüchtern, mit leiser Stimme.
Nachdem der Nuntius die Geschworenen eingeführt und placiert hatte, trat er in die Mitte der Estrade und sagte mit sehr lauter Stimme, die die Anwesenden noch mehr einschüchterte:
»Der Gerichtshof!«
Alle standen auf und die Richter erschienen auf der Estrade. Zuerst der Präsident mit dem schönen Backenbart. Nechludoff erkannte ihn sofort, er hatte ihn vor zwei Jahren auf dem Lande auf einem Balle getroffen, wo dieser Präsident den Kotillon angeführt und die ganze Nacht mit vielem Schneid und Eifer getanzt hatte.
Hinter ihm erschien der Richter mit der mürrischen Miene; er war noch mürrischer geworden, seit er beim Eintritt in die Sitzung seinem Schwager begegnet war und dieser ihm gesagt hatte, seine Schwester habe ihm eben mitgeteilt, es würde heute abend nichts im Hause zu essen geben.
»Du lieber Gott! Dann werden wir eben in der Kneipe essen müssen,« hatte der Schwager lachend hinzugefügt.
»Ich sehe nicht, was daran so lächerlich ist!« hatte der Richter geantwortet.
Der andere Richter, der immer zu spät kam, war ein Mann mit langem Bart, gutmütigen, dicken, runden Augen und angeschwollenen Backen. Dieser Richter litt an einem Magenkatarrh, und noch an demselben Morgen hatte sein Arzt eine neue Behandlungsweise bei ihm angefangen, die ihn zwang, noch länger als gewöhnlich, zu Hause zu bleiben. Er trat mit vertiefter Miene auf die Estrade und war in der That sehr zerstreut. Er hatte die Gewohnheit, durch alle möglichen Zufallsspiele Antworten auf Fragen zu erraten, die er sich selbst stellte. Diesmal hatte er sich gesagt, wenn die Zahl der Schritte, die er zu machen hatte, um von der Thür seines Kabinets bis zu seinem Sessel zu kommen, durch drei geteilt sein sollte, dann würde seine neue Behandlung ihn von seinem Katarrh befreien; wenn nicht, dann nicht. Es waren im ganzen 26 Schritte; doch im letzten Augenblick mogelteder Richter ein bißchen, machte einen kleinen Schritt mehr und kam so mit 27 Schritten zu seinem Sessel.
Die Gestalten des Präsidenten und der beiden Richter, die sich mit ihren Uniformen und den goldgestickten Kragen auf der Estrade aufrichteten, boten ein höchst imposantes Schauspiel dar. Die Richter waren sich dessen übrigens voll bewußt, und alle drei beeilten sich, als wenn sie sich ihrer Größe schämten, Platz zu nehmen, indem sie vor dem großen, grünen Tische; auf dem man ein dreieckiges Instrument mit dem kaiserlichen Adler, Tintenfässer, Federn, weißes Papier und eine ungeheure Anzahl frisch angespitzter Bleistifte verschiedener Größe gelegt hatte, bescheiden die Augen zu Boden schlagen.
Hinter den Richtern erschien der Staatsanwalt. Auch er ging so schnell wie möglich auf seinen Sessel zu; er hielt noch immer seine Aktenmappe unter dem Arm und fuchtelte mit den Armen. Sobald er sich gesetzt hatte, vertiefte er sich in die Lektüre der Akten und benutzte jede Minute, um seine Rede vorzubereiten. Wir müssen noch erwähnen, daß Breuer erst kürzlich zum Staatsanwalt ernannt worden war und erst zum viertenmale plaidierte. Er war sehr ehrgeizig, gedachte eine schöne Karriere zu machen und hielt es, um zu reüssieren, für unerläßlich, in allen Prozessen, an denen er teilnahm, Verurteilungen durchzusetzen. Er hatte schon den allgemeinen Plan der Anklagerede, die er in dem Giftmordprozeß halten wollte, entworfen; doch er mußte von den Thatsachen des Falles Kenntnis nehmen, um seine Beweisführung zu unterstützen und auszugestalten.
Endlich durchflog der Aktuar, der am entgegengesetzten Ende der Estrade saß und alle Stücke, die er noch zu lesen hatte, vor sich hingelegt hatte, einen verbotenen Zeitungsartikel, den er am vorigen Abend erhalten und bereits einmal gelesen hatte. Er wollte von diesem Artikel mit dem langbärtigen Richter sprechen, der, wie er wußte, in der Politik mit ihm einer Meinung war; und bevor er davon sprach, wollte er ihn genau kennen lernen.
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Nachdem der Präsident Papiere durchflogen, stellte er an den Aktuar und den Nuntius einige Fragen, und gab dann, als er von ihnen bejahende Antworten erhalten, den Befehl, die Angeklagten hereinzuführen.
Sofort wurde eine Thür im Hintergrunde geöffnet, und zwei Gendarmen traten, die Pelzmütze auf dem Kopfe und den Säbel in der Hand, ein, hinter ihnen erschienen die drei Angeklagten; zuerst ein sommersprossiger Mann mit roten Haaren, dann zwei Frauen. Der Mann trug Gefangenenkleidung, die für ihn zu groß und zu
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