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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Angelegenheit zu sprechen. Sein Titel Fürst und seine elegante Kleidung imponierten dem Beamten, der sofort den Staatsanwalt aufsuchte und es durchsetzte, daß Nechludoff sofort vorgelassen wurde.
    Der Staatsanwalt empfing ihn stehend und war über sein Drängen augenscheinlich ärgerlich.
    »Worin kann ich Ihnen dienen?« fragte er in strengem Tone.
    »Ich bin Geschworener und heiße Nechludoff und muß dringend eine im Gefängnis sitzende Frauensperson, die unverehelichte Maslow, sprechen,« versetzte Nechludoff in einem Zuge unter heftigem Erröten.
     
     
    Er fühlte, er thue da einen Schritt, der einen entscheidenden Einfluß auf sein ganzes Leben haben würde.
    Der Staatsanwalt war ein kleiner, magerer und trockener Mann mit kurzen, grauen Haaren, sehr lebhaften Augen und einem spitzen, auf ein hervorstehendes Kinn auslaufenden Knebelbart.
    »Die Maslow? Ja, die kenne ich. Des Giftmordes angeklagt, nicht wahr? Warum müssen Sie sie denn sprechen?«
    Dann fuhr er in liebenswürdigem Tone fort: »Entschuldigen Sie meine Frage, aber ich kann die gewünschte Erlaubnis nicht bewilligen, ohne das Motiv derselben zu kennen.«
    »Ich muß diese Frau sprechen; die Sache ist für mich von der größten Wichtigkeit!« sagte Nechludoff, von neuem errötend.
    »So, wirklich?« versetzte der Staatsanwalt, erhob die Augen und heftete einen durchdringenden Blick auf Nechludoff, »Diese Frau ist gestern abgeurteilt worden, nicht wahr?«
    »Sie ist zu vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, und zwar ungerechterweise, denn sie ist unschuldig.«
    »Gestern?« versetzte der Staatsanwalt, ohne Nechludoffs Bemerkungen über die Unschuld der Maslow die geringste Beachtung zu schenken. »Da sie erst gestern abgeurteilt worden ist, so muß sie sich noch im Untersuchungsgefängnis befinden. Man kann die Gefangenen dort nur an bestimmten Tagen sprechen, und Sie müssen sich schon dorthin wenden.«
    »Ich muß sie aber sofort sprechen,« erklärte Nechludoff.
    Seine Lippen zitterten, und er fühlte, daß die entscheidende Minute nahte.
    »Aber weshalb müssen Sie sie denn sprechen?« fragte der Staatsanwalt und runzelte mit etwas unruhiger Miene die Stirn.
    »Ich muß sie sprechen, weil sie unschuldig ist, und man sie zur Zwangsarbeit verurteilt hat. Ich bin schuldig und nicht sie !« fügte Nechludoff mit zitternder Stimme hinzu.
    »Wieso?«
    »Ich habe sie verführt und in den Zustand gebracht, in dem sie sich befindet. Hätte ich das nicht gethan, so wäre sie der gestern gegen sie erhobenen Anklage nicht ausgesetzt gewesen!«
    »Daraus erfahre ich noch immer nicht, weshalb Sie sie zu sehen wünschen.«
    »Ich will meinen Fehler gutmachen und sie heiraten,« erklärte Nechludoff, und Thränen der Rührung und Bewunderung über sich selbst benetzten seine Augen, wahrend er diese Worte sprach.
    »So? Wirklich?« versetzte der Staatsanwalt. »Das ist in der That ein ziemlich merkwürdiger Fall. Nicht wahr, Sie sind Mitglied des Zemstpo von Krasnoversk gewesen?« setzte er hinzu, als erinnere er sich endlich, bei welcher Gelegenheit er schon früher von diesem Nechludoff gehört, der ihm einen so unerwarteten Entschluß mitgeteilt.
    »Gewiß! Aber verzeihen Sie, ich glaube, das hat mit meiner Bitte nicht das geringste zu thun!« versetzte Nechludoff in verletztem Tone.
    »Allerdings nicht,« entgegnete der Staatsanwalt mit etwas ironischem Lächeln; »doch der Plan, den Sie mir ankündigen, ist so seltsam und liegt den gewöhnlichen Formen so fern ...«
    »Aber kann ich die Erlaubnis bekommen?«
    »Die Erlaubnis? Ja gewiß! Ich werde sie Ihnen sofort ausstellen. Setzen Sie sich gefälligst!«
    Er ging zu seinem Schreibtisch und fing an zu schreiben.
    »Setzen Sie sich, bitte!«
    Nechludoff blieb stehen.
    Als der Staatsanwalt zu Ende geschrieben hatte, erhob er sich und reichte Nechludoff, den er neugierig beobachtete, ein Papier.
    »Ich muß Ihnen noch etwas sagen,« fuhr dieser fort; »es ist mir von jetzt ab unmöglich, an den Beratungen der Geschworenen teilzunehmen.«
    »Wie Sie wissen, haben Sie dem Gericht Ihre Gründe darzulegen und sich von diesem dispensieren zu lassen.«
    »Der Grund ist: ich halte alle diese Urteile für unnütz und unmoralisch.«
    »Was Sie sagen!« rief der Staatsanwalt mit demselben ironischen Lächeln, aus dem hervorging, daß ihm solche Grundsätze nicht unbekannt waren und er sich nicht zum erstenmale darüber belustigte. »Sie werden sicher begreifen, daß ich in meiner Stellung als Staatsanwalt Ihre

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