Auferstehung 3. Band (German Edition)
fühlte einen so wilden Schmerz und Zorn, daß sie den Wunsch verspürte, Branntwein zu trinken, um sich zu beruhigen und zu vergessen. Trotz des Schwures, den sie sich geleistet, keinen mehr zu trinken, hätte sie sicher welchen getrunken, wenn sie ihn sich nur hätte verschaffen können. Doch der Branntwein stand unter der Obhut des Oberkrankenwärters, und vor diesem hatte die Maslow Furcht, weil sie wußte, daß er ihr nachstellte.
So blieb sie denn im Korridor auf einer Bank sitzen; dann kehrte sie wieder in ihr Zimmer zurück und weinte, ohne auf die Worte ihrer Gefährtin zu antworten, noch lange Zeit über ihr verpfuschtes Leben.
Drittes Kapitel
Abgesehen von der Berufung der Maslow, die seine Reise nach St. Petersburg hauptsächlich verursachte, hatte Nechludoff sich noch mit drei anderen Angelegenheiten zu beschäftigen, von denen ihm Wera Bogoduschoffska zwei anvertraut hatte. Er sollte den Versuch machen, bei der Begnadigungskommission des Gnadengesuch der Fedossja durchzusetzen, der jungen Gefangenen, die wegen Mordversuchs verurteilt war, und der ihr Gatte verziehen hatte; den Direktor der Gensdarmerie sollte er um die Freilassung der Studentin Tschustoff bitten, und außerdem wollte er für die Mutter eines politischen Gefangenen die Erlaubnis erhalten, ihren im geheimen Gewahrsam gehaltenen Sohn sprechen zu dürfen.
Seit seinem letzten Besuche bei Maslinnikoff und seinem Aufenthalte auf dem Lande fühlte er einen tiefen Widerwillen gegen die Gesellschaft, der er bis dahin angehört hatte; er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß zum Wohlbehagen und zum Zeitvertreib dieser Gesellschaft Millionen Menschen litten, und daß ihr Leiden an den Augen dieser Gesellschaft unbemerkt vorüberging, die es gleichzeitig vermied, über das Verbrecherische und Erbärmliche ihres eigenen Lebens Rechenschaft abzulegen. Doch in dieser Gesellschaft wurzelten seine Gewohnheiten; in ihr lebten seine Verwandten und Freunde; vor allem aber dachte er daran, daß er, um der Maslow und den andern Unglücklichen, deren Sache zu verteidigen er übernommen hatte, zu Hilfe zu kommen, den Schutz und die Dienste von Personen dieser Gesellschaft in Anspruch nehmen mußte, eine so große Abneigung er auch gegen sie im allgemeinen und gegen diese Personen im besonderen empfand.
Der letzte Grund veranlaßte ihn, als er nach St. Petersburg kam, bei seiner Tante, der Fürstin Tscharska, der Gattin eines früheren Ministers, Wohnung zu nehmen. Er würde sich wieder im Mittelpunkt der aristokratischen Welt befinden, und dieser Gedanke bereitete ihm Qualen, doch er wußte ebensogut, er beleidigte seine Tante, wenn er nicht bei ihr wohnte, und beraubte sich so für seine Unternehmungen einer Hilfe, die ihm äußerst wertvoll werden konnte.
»Nun, was hat man mir denn von dir erzählt?« fragte ihn die Gräfin Katharina Iwanowna, während sie sich damit beschäftigte, ihm seinen Milchkaffee vorzusetzen, »Du bist ja ein Original geworden, der Herr spielt sich als Philanthrop auf! Er unterstützt die Verbrecher und besucht die Gefangenen; du machst wohl Studien?«
»Ach nein, daran denke ich gar nicht!«
»Na, um so besser; dann ist es also ein romantisches Abenteuer? Erzähle!«
Nechludoff erzählte sein Verhältnis mit der Maslow genau so, wie es gewesen war.
»Ach ja, ich erinnere mich; deine arme Mutter hat nach deinem Aufenthalt bei den alten Jungfern davon erzählt. Sie hatten jawohl die Absicht, dich mit ihrer Mündel zu verheiraten, wie hieß sie doch noch? Ist sie noch hübsch?«
Die Gräfin Katharina Iwanowna Tscharska war eine kräftige, heitere, geschwätzige und energische Frau von 60 Jahren. Von hoher Gestalt und sehr korpulent, hatte sie einen kleinen schwarzen Schnurrbart, der sich ganz deutlich auf der Oberlippe abzeichnete. Nechludoff hatte sie sehr lieb, und er war seit seiner Kindheit daran gewöhnt, ihr seine Sorgen mitzuteilen und sein Herz auszuschütten.
»Nein, liebe Tante, das alles ist vorbei. Ich will ihr nur zu Hilfe kommen, weil sie unschuldig verurteilt worden ist und ich an ihrem ganzen Elend schuld bin. Ich halte mich verpflichtet, für sie alles zu thun, was in meinen Kräften steht.«
»Denke dir, man hat mir gesagt, du wolltest sie heiraten.«
»Ja, ich habe es gewollt, und will es noch, aber sie will nicht.«
Katharina Iwanowna, die ihren Neffen mit verzweifelter Miene betrachtete, beruhigte sich bei den letzten Worten und lächelte wieder.
»Nun, sie ist eben klüger als du; ach,
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