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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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angehen?«
    »Nun, da ist zum Beispiel Mariette; Sie geben doch selbst zu, daß sie das Recht hat, sich mit den Angelegenheiten ihres Mannes zu beschäftigen?«
    »Bei Mariette ist das etwas anderes, aber wenn so eine, Gott weiß was, so eine Popentochter uns gute Lehren geben will ...«
    »Sie will uns keine guten Lehren geben, sondern dem Volke helfen.«
    »Man braucht sie aber gar nicht, um die Bedürfnisse des Volkes kennen zu lernen.«
    »O, liebe Tante, darin irren Sie sich. Die Bedürfnisse des Volkes werden größer, und wir kennen sie tatsächlich nicht. Ich habe mich davon selbst überzeugt, denn ich komme eben vom Lande. Finden Sie es gerecht, daß die Bauern über ihre Kräfte arbeiten und nicht einmal ihren Hunger stillen können, während wir in Müßiggang und Luxus leben,« fuhr Nechludoff fort, den das Wohlwollen seiner Tante veranlaßte, ihr alle seine Gedanken nach und nach mitzuteilen.
    »Was willst du denn aber? Soll ich etwa arbeiten und nicht essen? Mein Lieber, mit dir nimmt es noch einmal ein schlimmes Ende.«
    »Weshalb denn?«
    Während der letzten Worte war ein kräftiger, hochgewachsener, älterer Herr in das Speisezimmer getreten; das war der Gatte der Gräfin Tscharska, der frühere Minister. Er küßte seiner Frau galant die Hand und sagte dann, Nechludoff seine frischrasierte Wange hinhaltend:
    »Ah, guten Tag, Dimitri, seit wann bist du hier?«
    »Nein, er ist unbezahlbar,« sagte die alte Gräfin zu ihrem Manne. »Er wünscht, ich solle meine Wäsche selbst im Flusse waschen und mich nur von Kartoffeln nähren. Du kannst dir nicht denken, was für ein Taugenichts er geworden ist. Trotzdem aber thätest du gut, alle seine Wünsche zu erfüllen. Apropos, man sagt, mit Frau Kamenski stehe es so verzweifelt, daß man für ihr Leben fürchtet; du solltest ihr einen Besuch machen.«
    »Ja, es ist furchtbar,« versetzte der Mann.
    »Und jetzt unterhaltet euch von euren Angelegenheiten im Rauchzimmer, ich habe Briefe zu schreiben.«
    Nechludoff hatte das Eßzimmer kaum verlassen, als sie ihm nachrief, er solle wieder zu ihr kommen.
    »Soll ich auch an Mariette schreiben?«
    »Ach ja, Tante!«
    »Aber ich werde die Erklärung dessen, um was du ihren Mann wegen der Nihilistin zu bitten hast, freilassen. Sie kann ihrem Manne dann befehlen, zu thun, was du verlangst, und er wird es thun. Aber glaube nur nicht, daß ich mitleidslos bin. Sie sind alle Ungeheuer, deine Schützlinge, aber ich will ihnen durchaus nicht übel, Gott beschütze sie. Also auf heute abend, du kommst heute abend sicher! Du wirst Kiesewetter hören und dann mit uns beten, das wird dir gut thun; also auf heute abend, nicht wahr?«
     
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    Der frühere Minister, Graf Iwan Michaelowitsch Tscharskin, war ein Mann von strengen Grundsätzen. Seine Grundsätze hatten von Jugend an in folgendem bestanden: Er war überzeugt, ebenso wie der Vogel sich von Würmern nährt, im freien Raum umherfliegt, mit Federn bekleidet ist, ebenso müsse er sich ganz naturgemäß von den feinsten Speisen nähren, mit den besten Stoffen bekleidet sein und in den teuersten Kaleschen fahren, denen die schnellsten Pferde vorgespannt waren. Der Graf Iwan Michaelowitsch glaubte, das müsse so sein und für ihn stets bereitstehen. Er hatte aber noch eine andere Ueberzeugung. Er war überzeugt, je mehr Geld er aus dem öffentlichen Schatze erheben, je mehr Orden und Titel er erhalten, je vertrauter er mit Personen von höherem Range werden würde, um so besser würde das für ihn und das ganze Weltall sein.
    Im Vergleich zu diesen seinen Hauptgrundsätzen erschien dem Grafen Iwan Michaelowitsch alles übrige unbedeutend und interesselos. Ob alles andere so oder so geschah, das kümmerte ihn wenig. Mit solchen Ansichten hatte der Graf vierzig Jahre lang in Petersburg gelebt und war dann an die Spitze eines Ministeriums gestellt worden. Er hatte diese Ehre folgenden Vorzügen zu verdanken: Zunächst hatte er den Sinn der Vorschriften und anderer offizieller Akte verstanden, und konnte solche Akte selbst herstellen, allerdings, ohne viel Gedanken und Stil dabei zu verwenden, aber auch ohne allzu viel orthographische Fehler zu machen. Außerdem repräsentierte er ausnehmend gut und konnte zu gleicher Zeit, je nach den Umständen, den Eindruck der Würde, der Vornehmheit und Unzugänglichkeit oder den des Wohlwollens und der Demut hervorrufen; drittens besaß er den Vorzug, daß ihm alle nicht mit seinen Funktionen übereinstimmenden Grundsätze sowohl

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