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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Mehrmals am Tage zog sie, wenn sie allein war, die Photographie, die ihr Nechludoff gebracht, aus dem Kouvert und warf schnell einen Blick darauf. Als sie endlich abends nach dem Appell in ihr kleines Zimmer gehen konnte, das sie mit einer andern Gefangenen teilte, nahm sie die Photographie vor und betrachtete sie längere Zeit, indem sie bei den geringsten Einzelheiten der Gesichter, der Anzüge, der Balkonstufen verweilte. Sie fand an dieser vergilbten und verblaßten Photographie ein außerordentliches Gefallen; besonders gern aber betrachtete sie ihr eigenes Gesicht, das Bild ihres frischen, jungen Gesichts von damals mit den über die Stirn flatternden Lockenhaaren. Sie war in diese Betrachtung so tief versunken, daß sie nicht einmal bemerkte, wie ihre Genossin ins Zimmer trat.
    »Was betrachtest du denn da? Hat »Er« dir das gegeben?« fragte das dicke Mädchen, das eben eingetreten war und sich ein bißchen über ihre Schulter lehnte. »Das sieht ja wie ein Bild aus!«
     
     
    »Erkennt man mich wirklich noch?« fragte die Maslow mit freudigem Lächeln.
    »Und das, das ist »Er«? Das ist wohl seine Mutter?«
    »Nein, seine Tante! Aber man erkennt mich wirklich noch!«
    »Du hast dich allerdings sehr verändert und hast nicht mehr dasselbe Gesicht. Man sieht, es sind seitdem viele Jahre vergangen!«
    »Nicht die Jahre, sondern etwas anderes hat mich verändert,« versetzte die Maslow, und ihre freudige Erregung verschwand plötzlich ganz und gar; ihr Gesicht verdüsterte sich, und eine Runzel erschien auf ihrer Stirn.
    »Was für anderes? Dein Leben ist doch nicht so hart gewesen!«
    »Nein, sehr hart nicht,« entgegnete die Maslow, den Kopf abwendend. »Aber trotzdem ist das Zuchthaus noch besser.«
    »Du brauchtest ja nur fortzugehen!«
    »Ich wollte es mehr als einmal; doch ich konnte es nie! Wozu davon sprechen?« rief die Maslow, erhob sich schnell, versteckte die Photographie in einer Schublade und verließ das Zimmer, indem sie mühsam Thränen des Zornes zurückdrängte.
    Als sie die Photographie betrachtete, hatte sie wieder so zu werden geglaubt, wie sie einst gewesen; sie dachte an all das Glück, das sie genossen, und an das, das sie noch hätte genießen können! Und nun erinnerten sie die Worte ihrer Gefährtin an das, was sie jetzt war! Wieder sah sie den ganzen Abscheu dieses Lebens vor sich, vor dem sie stets, ohne es sich selbst gestehen zu wollen, eine unklare Furcht empfunden hatte!
    Ganz besonders trat ihr die Erinnerung an eine Nacht lebhaft vors Auge. Es war eine Nacht im Karneval. Die Maslow, die ein tief ausgeschnittenes und ganz mit Weinflecken beschmutztes rotes Seidenkleid und ein rotes Band in den aufgelösten Haaren trug, hatte sich abgespannt, betäubt, halb betrunken, um zwei Uhr morgens, nachdem sie einen Besucher hinausgeleitet, bevor sie wieder zu tanzen anfing, einen Augenblick neben die Klavierspielerin, ein mageres, knochiges, ganz mit Pickeln übersäetes Geschöpf, gesetzt. Sie hatte plötzlich eine Zentnerlast auf dem Herzen gefühlt, hatte der Klavierspielerin gestanden, das Leben, das sie führe, bedrücke sie, und sie hätte nicht mehr die Kraft, es noch länger zu ertragen. Die Klavierspielerin hatte erwidert, auch sie wäre des Lebens, das sie führe, überdrüssig; und als Klara auf sie zugekommen war und ihre Klagen mit denen der beiden andern Weiber vereinigt hatte, beschlossen alle drei, auf und davon zu gehen und ihren Lebenswandel so bald wie möglich zu ändern. Die Maslow verzichtete auf den Tanz, wollte den Salon verlassen und auf ihr Zimmer hinaufgehen, als sich im Korridor wieder die weinseligen Stimmen einiger Männer hören ließen. Der Violinist hatte ein Ritornell begonnen, die Klavierspielerin hatte ihn schnell begleitet; ein kleiner betrunkener Mann in schwarzem Frack hatte die Maslow um die Taille gefaßt; ein dicker Mann im Vollbart hatte Klara gepackt, und man hatte sich noch lange Zeit gedreht, getanzt, getrunken und geschrieen! So war ein Jahr nach dem andern vergangen! Wie sollte sie da ihren Lebenswandel ändern?!
    Und an alledem war »Er«, Nechludoff, schuld! Stärker als je zuvor fühlte sie den Haß gegen ihn erwachen. Sie hätte ihn beschimpfen, ihn schlagen mögen. Sie bedauerte, daß sie sich an diesem Tage die Gelegenheit hatte entgehen lassen, ihm von neuem zu zeigen, daß sie ihn genau kannte, daß sie ihm nicht nachgeben und ihm nicht gestatten würde, sie zum zweitenmale zu mißbrauchen!
    Ihre Leidenschaft war so heftig, sie

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