Auferstehung 3. Band (German Edition)
entlang und schlugen dabei mit ihren Felleisen an die Bänke, Schlösser und Thüren. Man sah, daß sie sich wirklich schuldig fühlten und bereit waren, so bis zum Ende der Welt von Waggon zu Waggon zu irren, um Plätze zu suchen, auf denen sie sich niederlassen konnten. Es waren zwanzig Mann, darunter Greise und Jünglinge; doch alle hatten dasselbe vertrocknete und ausgedörrte Gesicht und im Blick ihrer hohlen Augen dasselbe Gemisch von Abspannung und Entsagung.
»Wo lauft ihr denn hin, ihr Bande? Ihr seid hier eingestiegen, also richtet euch auch ein, hier zu bleiben,« rief ihnen der Kondukteur zu, der ihnen vom andern Ende des Waggons entgegenkam.
»Voilà encore des nouvelles!« sagte die junge Dame in der festen Ueberzeugung, sie würde sich durch ihr elegantes Französisch die Aufmerksamkeit und Achtung Nechludoffs erringen. Was die alte Dame mit den Armbändern, ihre Mutter, betraf, so beschränkte sie sich darauf, zu schnauben, sich die Nase zu schnäuzen, die Stirn kraus zu ziehen und über die Unannehmlichkeit, in Gesellschaft gräßlicher, schlecht riechender Muschiks zu reisen, hastige Bemerkungen auszustoßen.
Inzwischen waren die Arbeiter mit der freudigen Erleichterung von Leuten, die eben heil und gesund einer schrecklichen Gefahr entronnen sind, im Gange stehengeblieben und fingen an, sich niederzulassen, indem sie die schweren Felleisen, die sie auf dem Rücken trugen, mit einer Bewegung der Schultern abschüttelten und auf die Bänke fallen ließen.
Der Gärtner, der in einem andern Waggon einen Freund getroffen, hatte den Platz, den er zuerst Taraß gegenüber einnahm, verlassen, so daß neben Taraß und ihm gegenüber drei Plätze in dem Coupé frei waren. Drei der Arbeiter ließen sich schnell darauf nieder; doch als sich Nechludoff ihnen näherte, versetzte sie der Anblick seines eleganten Anzugs in so große Verwirrung, daß alle drei unwillkürlich aufstanden, um anderswo Platz zu suchen. Nechludoff mußte lange zureden, ehe sie sich wieder setzten; er selbst blieb stehen und lehnte sich an den Rücken einer Bank.
Einer der drei Arbeiter, ein großer und dürrer Mann von etwa fünfzig Jahren, wechselte, nachdem er sich wieder gesetzt, einen mißtrauischen Blick mit einem jüngeren Genossen, der ihm gegenüber saß. Alle beide waren offenbar überrascht und etwas unruhig, daß Nechludoff, anstatt sie, wie es einem »Barin« zukam, zu beschimpfen und fortzujagen, ihnen seinen eigenen Platz abgetreten hatte. Es wollte ihnen noch immer nicht aus dem Sinn, daß sich daraus für sie etwas Unangenehmes entwickeln konnte.
Doch als sie bemerkten, daß er nicht die Absicht hatte, ihnen zu schaden und sich in der natürlichsten Weise von der Welt mit Taraß unterhielt, beruhigten sie sich, und der neben Taraß Sitzende wollte sich durchaus auf die andere Bank setzen, damit Nechludoff sich auch setzen konnte. Zuerst schien der alte Arbeiter sehr verlegen und schob seine in Holzschuhen steckenden Stiefel so weit wie möglich unter die Bank, damit sie dem »Barin« nicht hinderlich werden konnten. Bald aber wurde er kecker und begann so vertraulich mit Nechludoff zu reden, daß er ihm mehrmals seine grobe knochige Hand auf das Knie legte, um die Bedeutung seiner Worte noch mehr hervorzuheben.
Er sagte Nechludoff, wie er hieß, aus welchem Dorfe er sei; er erzählte ihm, daß er und seine Genossen nach Hause führen, nachdem sie zehn und einen halben Monat in einem Torfstich gearbeitet. Er brachte eine Summe von zehn Rubeln mit und hatte schon im vorigen Monat fünf Rubel erhalten. Für diese fünfzehn Rubel hatte er täglich bis zum Knie ins Wasser gehen und vom Morgen bis zur Stunde der Mahlzeit ununterbrochen darin bleiben müssen.
»Wer nicht dran gewöhnt ist, dem wird es zuerst 'n bißchen schwer,« sagte er; »doch wenn du dich einmal abgehärtet hast, dann thut's nicht mehr weh! Wenn nur das Essen zu genießen wäre! In der ersten Zeit konnte man nichts 'runterbringen! Aber dann hatten die Leute mit uns Mitleid, und das Essen ist ausgezeichnet geworden, und auch die Arbeit wurde dann leichter.«
Er erzählte dann, daß er so seit mehr als zwanzig Jahren im Tagelohn arbeite und das Geld, das er verdiente, stets zu Hause abgegeben hätte; erst seinem Vater, dann seinem älteren Bruder; jetzt gäbe er es einem Vetter mit starker Familie, dem es sehr schwer wurde, zurechtzukommen. Trotzdem behielt er von den sechzig Rubeln, die er jährlich verdiente, nur zwei oder drei, »zum
Weitere Kostenlose Bücher