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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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ihr einziger Wunsch, eben diese Worte zu hören. Auch Hull hatte keinen andren Wunsch, als immer dieselben Worte zu wiederholen. Hulls Stimme war nicht so dröhnend, wie zum Beispiel Kedenneks Stimme. Sie versetzte aber jeden, der sie anhörte, in Erregung, erweckte in jedem etwas wie Hoffnung. Sogar in Hull selbst erweckte der Klang seiner eignen Stimme etwas wie Hoffnung. Es kam ihm vor, als stünde er drunten unter den vielen Menschen und betrachtete erregt jenen Menschen, der auf Nyks Schultern geklettert war, berauscht und sorglos, ohne an das Ende zu denken.
    Am selben Abend saß Andreas in der Stube unter dem Licht, das an seinem dünnen Draht leise schwankte, als wäre es an der Decke der Kajüte angebracht. Gegen Ende des Winters waren die Kinder krank gewesen. Was das Kleine anbelangte, so war die Brust von Kedenneks Frau so kläglich und hölzern, daß es wie ein Wunder erschienen wäre, wenn das Kleine etwas hätte heraussaugen können. Dieses Wunder trat ja auch wohl nicht ein. Das Kleine, gelb und verhutzelt in seiner weißen Haube, hatte schon jetzt eine widerliche verblüffende Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Ohne irgendeinen Grund, denn er hatte gar keine besondere Liebe für das Kind, hatte sich Andreas in den Kopf gesetzt, das Kind unter allen Umständen am Leben zu erhalten. Gleich am Anfang, in den schlechtesten Wochen, als die Schafe trocken standen, hatte er sich für das Kind die merkwürdigsten Nahrungsmittel ausgedacht. Das Kind war jeden Monat einmal nahe dran, zu sterben, aber dann verdoppelte Andreas seine Beharrlichkeit und empfand der Familie gegenüber eine Art Schadenfreude.
       Heute abend war Kedenneks Frau wild auf den Jahrmarkt; sie hatten Andreas geheißen, daheim zu bleiben, heute abend sei noch nichts Besonderes los, der Hauptrummel begänne erst morgen. Andreas wartete schon stundenlang zornig auf ihre Rückkehr. Er fühlte eine doppelte Schande, daß man ihm befehlen konnte zu bleiben, und daß er wirklich blieb. Da hatte er ein Mädchen aus St. Blé gesehen, eine runde, braune, die hatte er holen wollen, es war gut, eine feste Geliebte zu bekommen. Nun konnte er nicht weg. Es war wahr, daß das Hauptvergnügen erst morgen anfing, aber schon heute gab es alles mögliche zu erleben, das hatte er nun für immer versäumt, gestohlen hatten sie ihm den Abend, was brauchten sie, die Alten, den Jahrmarkt, der war für ihn, den Jungen. Er wartete. Er hörte Schritte den Weg herunter. Das waren wohl die aus der Schenke, die kamen später. Die Schritte gingen vorbei, Andreas wurde noch einsamer, zorniger. Es wurde Nacht, Andreas wunderte sich, daß Kedenneks immer noch nicht kamen, die waren ja unersättlich, er fing an, sie zu hassen. Er ging vor die Tür, da merkte er, auf dem Kai war es still, vom Markt her kam ein unbekannter Lärm, er horchte, was das wohl sein mochte. Er ahnte, was drunten vorging. Er war beinah verzweifelt. Er war also nicht von allem Anfang an dabei gewesen, gerade er nicht, der am meisten dazugehörte. Er dachte an Hull, der war sicher dabei, aber auch er hatte nicht daran gedacht, nach ihm, Andreas, zu schicken. Andreas ging wieder in die Stube zurück. Er haßte das Dach, er haßte die kranken, schlafenden Kinder, nie im Leben wollte er solche Kinder, derenthalben man daheim in der Stube sitzen mußte. Er ging wieder hinaus, endlich sah er an der Ecke einen Schatten – Kedenneks Frau. Sie nickten sich zu, er ging gleich weiter. Wie er hinunterkam, war schon alles vorbei, alle hatten sich zerstreut. Andreas stand auf dem großen weißen Platz, ratlos und hungrig. Das dunkle Haus blitzte durch die Ritzen der herabgelassenen Läden, wie jemand, der sich schlafend stellt. Andreas hatte die hefigste Lust nach viel Licht, nach viel Freude. Er machte kehrt, er lief den Berg hinauf. Droben war es jetzt wieder gestopf voll. Die Stimmen gingen hin und her, dazwischen gab es ein beinah erschöpfes Schweigen. Es war tief in der Nacht. Andreas vergaß schon auf der Schwelle seinen Kummer. Hier war alles, was er sich wünschte, etwas Helligkeit, Gefährten. Er drückte sich irgendwo dazwischen und horchte. Morgen sollten die Fischer Vorschuß nachfordern. Dann sollten sie sich gemeinsam weigern, zu den alten Bedingungen an Bord zu gehen. In seinem Herzen war eine kindische, funkelnde Freude, als ob ein großes Fest endlich zustande käme. Das Fest war der Abschluß von allem. Vollpumpen mußte man sich bis dahin. Andreas saß still. Sein Kopf senkte sich so weit

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