Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Hinterhältigkeit Mutwillen treibt. Aber in diesen Einsichten und in dieser Schmach liegt ja gerade die Wollust. »Zugegeben, ich falle euch zur Last, ich zerreiße euch das Herz, gönne keinem im Hause Schlaf. So wacht denn auch, fühlt jeden Augenblick mit, daß ich Zahnschmerzen habe. Jetzt bin ich für euch nicht mehr der Held, der ich früher scheinen wollte, sondern einfach ein Ekel, ein Hanswurst. Um so besser. Freut mich, daß ihr mich durchschaut. Mein niederträchtiges Gestöhn widert euch an? Um so besser; gleich werde ich euch eine noch widerlichere Roulade vorstöhnen …« Können Sie es immer noch nicht begreifen, meine Herrschaften? Nein, es scheint doch, daß man recht weit in seiner Entwicklung und in seinem Bewußtsein fortgeschritten sein muß, um alle Feinheiten dieser Wollust empfinden zu können. Sie lachen? Freut mich. Meine Witze sind selbstverständlich abgeschmackt, niveaulos, verworren, voll von tiefstem Selbstmißtrauen. Dies aber rührt daher, daß ich mich selbst nicht achte. Kann denn ein bewußter Mensch sich überhaupt noch irgendwie achten?
V
Nun, wie ist es denn möglich, wie kann ein Mensch sich auch im geringsten achten, der danach trachtet, gerade in dem Gefühl eigener Erniedrigung einen Genuß zu finden? Ich sage das nicht aus irgendeiner Anwandlung süßlicher Reue. Überhaupt habe ich es nie leiden können, dieses: »Verzeihung, Papachen, ich werde nicht mehr …« – weniger, weil ich nicht fähig gewesen wäre, so etwas zu sagen, sondern im Gegenteil, vielleicht, weil ich gerade eilfertig dazu bereit war, viel zu bereit? Absichtlich ließ ich mich beschuldigen in Fällen, in denen ich völlig unschuldig war. Das war ja gerade das schlimme. Dabei verging ich fast vor Rührung, vor Reue, ich vergoß Tränen und, versteht sich, hielt mich selbst zum besten, wobei ich auch nicht im geringsten heuchelte. Sogar das Herz machte irgendwie mit … Hier ließen sich nicht einmal die Naturgesetze beschuldigen, obwohl gerade die Naturgesetze mich fortwährend und das ganze Leben lang am meisten beleidigten. Es ist widerlich, sich daran zu erinnern, und auch damals schon war es widerlich. Denn bereits nach einer Minute erkannte ich mit Widerwillen, daß das alles Lüge, ekelhafte, vorsätzliche Lüge war, ich meine all diese Reue, all diese Rührung, all diese Gelübde, sich zu bessern. Fragen Sie mich aber, warum ich mich selbst so verunstaltete und peinigte? Antwort: weil es gar zu langweilig war, mit den Händen im Schoß still dazusitzen – so begann ich denn, vor mir selbst Haken zu schlagen. Wahrhaftig, so war es. Beobachten Sie sich selbst, meine Herrschaften, und Sie werden begreifen, daß es so ist. Ich habe mir Abenteuer ausgedacht und das Leben selbst zurechtgedichtet, um wenigstens auf irgendeine Weise zu leben. Wie oft ist es geschehen, daß ich mir, sagen wir, beleidigt vorkam, so, ohne jeden Grund, absichtlich; und obwohl ich selbst wußte, daß ich überhaupt keinen Grund hatte, daß ich mir selbst etwas vormachte, brachte ich mich trotzdem so weit, daß ich mich schließlich tatsächlich tief gekränkt fühlte. Irgendwie neigte ich lebenslang dazu, derartige Kunststücke vorzuführen, bis ich schließlich meiner selbst nicht mehr mächtig war. Einmal wollte ich mich um jeden Preis verlieben, zweimal sogar, ich habe gelitten, meine Herrschaften, seien Sie versichert. Im tiefsten Grund der Seele zwar traut man dem Leiden nicht so ganz, dort regt sich der Hohn. Und dennoch leide ich, und zwar auf die wirkliche, übliche Weise; bin eifersüchtig, gerate außer mir … Und alles aus Langeweile, meine Herrschaften, alles aus Langeweile; die Trägheit erdrückt mich, denn die direkte, legitime, unmittelbare Frucht des Bewußtseins – ist Trägheit, d. h. bewußtes Mit-den-Händen-im-Schoß-Dasitzen. Das habe ich schon früher erwähnt. Ich wiederhole, wiederhole nachdrücklich: alle unmittelbaren und alle Tatmenschen sind ja nur tätig, weil sie stumpfsinnig und beschränkt sind. Wie sich das erklären läßt? Folgendermaßen: Infolge ihrer Beschränktheit nehmen sie die augenscheinlichen und zweitrangigen Ursachen für die primären und lassen sich auf diese Weise rascher und leichter als die anderen überzeugen, daß sie einen unanfechtbaren Grund für ihre Tätigkeit gefunden haben; damit geben sie sich zufrieden, und das ist die Hauptsache. Denn, um eine Tätigkeit zu beginnen, muß man restlos beruhigt und aller Zweifel enthoben sein. Nun, wie soll zum
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