Auge um Auge (German Edition)
Cheerleader-Training am Freitag hakt Rennie sich auf dem Weg zum Parkplatz bei mir unter. »Und, was machen wir heute Abend, worauf hast du Lust?«
»Ach – arbeitest du nicht?« Ich war fest davon ausgegangen. Oder hatte es zumindest gehofft.
Rennie schüttelt den Kopf. »Terri tauscht mit mir. Ich will Spaß! « Den letzten Satz spricht sie mit ihrer Babystimme.
»Hm«, murmle ich und tue so, als würde ich nachdenken. In Wirklichkeit will ich nur nach Hause, mich aufs Bett legen und mir noch mehr Sachen ausdenken, die man Alex antun könnte. Schon im Unterricht war ich immer wieder völlig abwesend, wenn ich mir vorgestellt habe, was für ein irres Gefühl es sein wird, wenn wir ihn uns vorknöpfen. Irgendwie therapeutisch. So glücklich bin ich nicht mehr gewesen seit ... na ja ... seit einer Weile.
Gestern beim Mittagessen hat Rennie bemerkt, wie ich still vor mich hin lächelte, und gleich gefragt: »Worüber freust du dich denn so?« Fast hätte ich mich an meinem Hähnchen-Wrap verschluckt. Noch nie hatte ich so ein großes Geheimnis für mich behalten müssen. Einmal, als meine Mutter zum fünfzigsten Geburtstag meines Vaters eine Überraschungsparty plante, hatte ich solche Angst, mich zu verplappern, dass ich zwei Wochen lang Bauchschmerzen hatte. Wenn Dad abends an mein Bett kam, um mir gute Nacht zu sagen, hatte ich nur einen Gedanken: Nichts sagen, nichts sagen, nichts sagen. Ich hatte schon Angst, dass ich gerade deswegen damit herausplatzen würde, weil ich nur noch daran dachte, bloß nichts zu sagen.
Aber dieses Mal konnte ich mich noch aus der Klemme ziehen. Ich hätte darüber nachgedacht, wohin wir im Mai, wenn wir mit der Schule fertig wären, verreisen könnten, sagte ich. Das hatten wir schon lange geplant, irgendwo hinzufahren, nur sie und ich. »Die Fidschi-Inseln wären toll. Oder die Malediven.«
Nie mehr werde ich Rennie mit denselben Augen sehen, doch ich bin froh, dass ich mich um diese Baustelle im Moment nicht kümmern muss. Mein Thema im Moment ist Alex, darauf konzentriere ich mich jetzt. Ein Teil von mir – der nostalgische, nehme ich an – wünscht sich, ich könnte Rennie erzählen, was ich vorhabe. Sie hätte einen Riesenspaß an der Sache. Ich könnte wetten, ihr würde jede Menge kranker, völlig abgefahrener Dinge einfallen, die wir Alex antun könnten, Sachen, auf die ich im Leben nicht käme.
Aber natürlich kann ich nichts sagen. Denn wenn wir mit Alex fertig sind, ist Rennie als Nächste an der Reihe.
Fürs Erste muss ich mich total entspannt geben. Je normaler ich auf alle wirke, umso weniger wird irgendwer Verdacht schöpfen, dass ich dahinterstecken könnte. Das ist das Allerwichtigste. Niemand darf je etwas erfahren. Niemals.
»Magst du mit zu mir kommen, und wir überlegen uns beim Essen was?«, fragt Rennie.
Lächelnd sage ich: »Aber immer doch!«
Ich lasse meinen Wagen auf dem Schulparkplatz stehen und fahre mit Rennie zu ihrer Wohnung. Die Wohnanlage nennt sich Die Seemöwen , der Namenszug ist beleuchtet, und die Einfahrt ist sehr gepflegt mit Blumen und großen Büscheln Seegras. Wenn man aber erst einmal daran vorbei ist und zum Tor gelangt, sieht alles schon nicht mehr so toll aus. Früher kam man nur hinein, wenn man einen bestimmten Zahlencode eingab, aber jetzt ist das Tor schon seit Monaten kaputt. Es steht einfach immer offen und ist mit einem Seil angebunden. Seit es hier letztes Frühjahr einige Einbrüche gegeben hat, sieht Dad es nicht gern, wenn ich herkomme.
»Sie sollten mal endlich das Tor reparieren«, sage ich, als wir hindurchfahren. Ich hole einen Traubenlolli aus der Tasche, wickle ihn aus und biete Rennie an, als Erste daran zu lecken, doch sie schüttelt den Kopf. Ich rede weiter. »So wie es jetzt ist, seid ihr doch nicht sicher. Jeder kann hier einfach so reinkommen.«
Rennie zuckt nur mit den Schultern. »Die Hausverwaltung hier ist völlig unfähig. Weißt du noch, wie lange es gedauert hat, bis unsere Dusche repariert wurde? Mom spricht in letzter Zeit öfter darüber, dass sie von hier wegwill, wenn das Schuljahr vorbei ist.«
Überrascht höre ich auf, an meinem Lolli zu lutschen. »Im Ernst?«
»Hallo?! Sie wollte doch schon letztes Frühjahr wegziehen, als sie uns die Miete erhöht haben!«
Ich erinnere mich. Damals haben wir so lange geweint und gebettelt, bis Ms. Holtz es sich noch einmal überlegt hat. Wir hatten sogar schon Pläne gemacht, dass Rennie während unseres letzten Schuljahres bei uns wohnen
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