Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
Erschöpfung und von dem anstrengenden Marsch.
»Gehen wir vorsichtig weiter.«
»Was war das?« View setzte nun etwas umsichtiger einen Fuß vor den anderen.
»Ich denke, ein Hase oder Kaninchen in einer Falle. Vielleicht ein Fußeisen, das das Tier nicht richtig erwischt hat, dass es deshalb so leiden musste. Sonst Genickbruch, fertig.«
View schluckte. Eine Gänsehaut überzog ihren Rücken. Das klang widerlich und grausam, auch wenn sie wusste, dass es Menschen gab, die von der Jagd lebten oder leben mussten. Weshalb kannte sich Zac damit aus? »Ist es nicht gefährlich, wenn hier solche Fallen am Boden herumliegen?«
»Klar.« Er klang überrumpelt und machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Geh du hinter mir. Ich mach jetzt langsamer.«
Zac bewegte sich eh meist so lautlos voran, dass sie kaum wusste, wo er genau stand oder ging. »Siehst du denn noch genug?«
»Ja, wir haben fast Vollmond. Reicht so gerade.«
Eigentlich zog sie überhaupt nichts zu dem toten oder sterbenden Tier. Wenn es noch blutend dort eingeklemmt lag und vor sich hinwimmerte. »Müssen wir da hin?«
»Klar! Da sind …«
»Menschen«, unterbrach sie ihn, »ich weiß. Aber sie könnten auch nur alle paar Tage nach den Fallen sehen. Oder es sind Wilderer. Du weißt schon.« Sie wusste selbst nicht einmal, was genau sie meinte. »Aber wir sind ja zu zweit«, setzte sie schnell hinzu. Sie wollte nicht als Angsthase dastehen.
»Hm, ja. Du hast recht«, sagte er zu ihrem Erstaunen in einem fast ängstlichen Tonfall. »Gehen wir vorsichtig nachsehen und entscheiden dann, ob wir uns zu erkennen geben.«
»Okay.«
Einige Minuten schlichen sie weiter. Absolute Erschöpfung fraß an ihrem Entschluss, weiterzugehen. Ihr Magen rumorte und ihre Füße schmerzten, als liefe sie barfuß auf Glas. Mit jedem Schritt fühlte sie sich schwächer. Sie war solche Gewalttouren einfach nicht gewohnt.
»Still! Runter!«
View lauschte angestrengt, doch nur die Geräusche des nächtlichen Waldes drangen an ihre Ohren. Rauschen, Knacken, Rascheln, der Ruf einer Eule, das Knarzen von Ästen und der ständige Wind in den Wipfeln. »Ich hör nichts.«
»Ich seh einen Lichtschein.«
Toll! Und das sagte er erst jetzt. »Dann schleich dich mit deiner Gabe vor und sieh nach.«
»Besser, wir bleiben zusammen. Komm. Aber leise.«
Nach einigen Schritten hockten sie sich hinter einen dichten Busch, dessen dornenbehafteten Zweige sich in ihren Haaren verfingen.
»Eine alte Frau an einem kleinen Lagerfeuer«, wisperte Zac.
View fiel ein Stein vom Herzen. Keine Männerbande, die Rauschgift schmuggelte oder vom Verkauf von Tierfellen lebte. »Und nun?«
»Ich würde sagen, du gehst einfach zu ihr.«
»Ich?« Ihr leerer Magen stülpte sich um, nur um ihr zu zeigen, dass er nicht wirklich leer war. Magensäure stieg in ihr auf. Er schickte sie vor? Warum ging er nicht oder sie beide?
»So von Frau zu Frau, sie vertraut dir bestimmt eher«, wisperte er schwach.
Die Säure begann zu brodeln und sie konnte sich ein abfälliges Schnauben nicht verkneifen. Doch die Widerworte blieben ihr im Halse stecken. Mist! Sie erhob sich und stampfte einfach geradeaus, geradewegs auf das Knistern des Feuers zu. Äste schlugen ihr ins Gesicht und sie wischte sie einfach fort. So ein jämmerliches, unmännliches, peinliches … Männlein. Views peitschende Verachtung schlug in Ärger um, über das Gestrüpp, das ihr im Weg stand und nach ihr zu greifen schien, und darüber, dass ihr nicht einmal ein besseres Schimpfwort für Zac einfiel.
»Hallo?«
View blieb augenblicklich stehen. Die krächzende Stimme der alten Frau klang ängstlicher, als sie sich selbst fühlte.
»Hallo, ja, ich bin hier. Bitte erschrecken Sie nicht. Ich bin, also, View ist mein Name.«
»Hallo?«, rief die Fremde.
Vielleicht war sie schwerhörig. View hoffte, dass sie keinen Herzinfarkt erlitt, wenn sie nun lauter sprach, damit sie sie auch hörte. Sie stand schätzungsweise zehn Meter vor ihr. Die Stimme und das Knistern sowie der Geruch des Feuers verrieten es ihr. »Ich habe mich verlaufen.«
»Oh«, machte die Frau.
View trat näher an sie heran und versuchte, eine nette Mimik in ihr Gesicht zu zaubern, doch sie war so angespannt, dass der Ausdruck wahrscheinlich völlig verrutschte. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich tue Ihnen nichts. Im Gegenteil, also, ich brauche Ihre Hilfe.«
»Soso.«
»Vielleicht hat sie nicht mehr alle Nadeln an der Tanne«, flüsterte Zac plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher