Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
vermisse dich.«
Ich dich auch, dachte sie, ließ es aber unausgesprochen. Sie würde sein Leben gefährden, wenn jemand sie abhörte. Die Telefonate waren das Äußerste, was sie sich und ihm zugestand. Sie hoffte nur, dass all ihre Vorsichtsmaßnahmen ausreichten, damit ihr niemand auf die Schliche kam, damit nicht noch jemand zu Schaden kam. Hastig schritt sie durch die Spielwarenabteilung, wich einigen quengelnden Kindern und ihren Eltern aus und betrat die nächste Rolltreppe. Sie sollte langsamer gehen, nicht durch die Gegend hetzen, sonst fiel sie allein deshalb noch auf. Leider kam sie nicht dagegen an, alles in Eile in Angriff zu nehmen, seit sie sich auf der Flucht befand.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja«, log sie. Dabei war nichts mehr in Ordnung, seit ihr Sohn und seine Ehefrau ermordet worden waren. Unfall! Pah!
»Ich möchte deine Stimme hören.«
Alejo klang belegt. Sie quälte ihn mit den Anrufen, aber ohne – ohne würde sie nicht weiterleben wollen. Doch sie musste und wollte, denn sie würde nicht ruhen, bevor sie ihre Enkelin Joy nicht gefunden hatte. »Gibt es etwas Neues?«, fragte sie.
»Leider nein, Liebes.«
»Wie geht es dir?«
»Nicht so gut ohne dich, aber ich komme zurecht. Ich habe ja meine Jungs.«
Seine Hunde, seine abgerichteten Wachhunde. Eleonore schluckte. Auch sie würden ihn nicht retten können, wenn sie ihn fanden. » Weißt du, manchmal denke ich, es hat alles keinen Sinn mehr.«
» E… Liebes«, verbesserte er sich schnell, »nicht aufgeben. Sie braucht dich. Das weißt du. Hör auf dein großes Herz. Finde sie und dann, dann kommst du zurück zu mir, ja? Oder lass mich dir endlich helfen. Ich komme zu dir, wir suchen gemeinsam. Ich … brauche dich.«
Sie überging seine ewige Bitte. »Wenn es doch nur etwas Neues geben würde. Ich hoffe immer noch, dass sie eines Tages nach mir sucht, die, das … du weißt schon, findet und mich …« Eleonore brach ihr Gestotter ab und betrat die Rolltreppe ins Erdgeschoss. Tränen rannen ihr die Wangen hinab und sie wischte sie schnell fort, setzte ein Lächeln für die Passanten auf der herauffahrenden Rolltreppe auf. Niemand beachtete sie, aber auch das konnte täuschen. »Okay, ich …«
»Nein, noch nicht«, unterbrach er sie, »bitte.«
Sie tat ihm nur weh. Und sich.
»Können wir uns nicht mal treffen? Irgendwo?«
Ich liebe dich . Sie drückte auf den Knopf zum Auflegen und schluchzte ungewollt laut auf.
Eleonore rannte förmlich aus dem Kaufhaus. Draußen holte sie mit zitternden Fingern eine Nagelschere hervor und zerschnipselte die Prepaidkarte in einen Mülleimer. Das Handy nahm sie, so weit es ging, auseinander und ließ die Teile in unterschiedliche Gullys fallen. Ob das etwas half, sie wusste es nicht. Sie wusste überhaupt nicht mehr weiter. Das einzig Gewisse in ihrem Leben war, dass sie bald sterben würde. Entweder, weil der Killer von damals sie fand, weil sie zu unvorsichtig in einem Wespennest herumstocherte, in dem Geld und nicht das Wohl der Welt regierte , oder weil sie ihre Krankheit von der Suche nach ihrer Enkeltochter Joy erlöste.
»Brauchen Sie Hilfe?«
Eleonore zuckte fürchterlich zusammen. Sie taumelte und wäre gestürzt, wenn zierliche Hände sie nicht gepackt und an einen Körper gedrückt hätten. Der Gehweg drehte sich, die Schaufensterscheiben wölbten sich ihr entgegen. Ihr verspannter Nacken kribbelte, als sprudelte Kohlensäure hindurch, und schon gaben ihre Knie nach. Sie ließ sich einfach auf den Hintern fallen.
»Ich rufe Ihnen einen Arzt.«
Eleonore schluckte bittere Galle hinunter. »Nein, bitte. Es geht gleich wieder.«
»Sicher?«
Sie nickte langsam. Vorsichtig sah sie hoch. Eine junge Frau, Anfang zwanzig, modern, aber unauffällig gekleidet. Genau der Typ, bei dem andere denken würden, dass sie auf ihn hereinfiel.
»Hier. Das hilft Ihnen.«
Eleonore blinzelte, um ihren Blick scharf zu stellen. Die Fremde hielt ihr eine geschlossene Coladose entgegen. Sie fuhr sich über die trockenen Lippen und schüttelte den Kopf. Ein Stich mit der richtigen Nadel und schon enthielt die Flüssigkeit ein Gift. »Danke, es geht schon.« Sie nahm ihre verbliebenen Kräfte zusammen und stand auf.
»Sie dürfen ruhig …«
»Nein«, sagte sie ein wenig zu barsch. Widersprüchliche Gefühle tobten in ihr. Wenn die junge Frau ihr wirklich nur helfen wollte, hatte sie sie nun arg verletzt. Solche Hilfsbereitschaft war selten, aber … Das ewige Aber hatte ihr bisher
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