Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
Werkstatt auf der Hauptstraße. Er wechselt Öl und Reifen. Für Seth ist das ein guter Job. Ihm macht es nichts aus, wenn seine Hände dreckig werden, und er bastelt lieber an Autos herum, als zu lernen.
Auch Rei hat kein Problem damit, sich die Hände schmutzig zu machen, solange sie nicht schmutzig bleiben. Und im Gegensatz zu Seth und mir macht es Rei Spaß zu lernen. Er ist ein schlauer Kerl. Er nimmt schon jetzt an Univorlesungen teil und ist immer in der Riege der drei besten Schüler unserer Stufe. Aber darum beneide ich ihn ganz und gar nicht.
Es ist fantastisch, dass Rei schlau ist. Doch ich finde, dass Yumi zu viel Druck auf ihn ausübt. Sie wollte schon immer unbedingt, dass er zum M.I. T. oder auf eine andere Elite-Uni geht, und jetzt, wo wir kurz vor dem Abschluss der Highschool stehen, fordert sie ihn ungemein. Reis Briefkasten ist zum Bersten voll mit Unibroschüren. Jedes College will Rei. Er ist schlau, sportlich, teamfähig und schneidet in Tests unglaublich gut ab. Außerdem gibt es kein einziges kompromittierendes Foto von ihm im Internet. Seine Eltern haben mehr als genug Geld gespart, um für seine Uniausbildung zu zahlen. Ich bin mir sicher, dass ihm zahlreiche Stipendien angeboten werden. Seine Zukunft sieht glänzend aus.
Die beiden anderen Schüler im Top-drei-Ranking sind Shawna Patel und Taylor Gleason. Ich mag Shawna sehr gerne. Sie ist sogar noch brillanter als Rei, aber wenn sie mit mir spricht, lässt sie mich nie dumm aussehen. Taylor dagegen spricht nie mit mir. Na ja, einmal hat sie mich auf der Toilette gefragt, ob ich ihr meinen Lippenstift leihen könnte. Dabei habe ich garkeinen Lippenstift. Sie hat ziemlich deutlich gezeigt, dass sie von meinem Kirsch-Labello nicht sonderlich beeindruckt war.
Ich kann Taylor einfach nicht einschätzen. Sie bekommt nur Einsen und zieht sich an wie ein Model. Es wird gemunkelt, dass sie ein verruchtes Party-Girl ist. Allerdings gebe ich nichts auf Gerüchte. Sonst müsste ich auch glauben, dass ich ein Snob bin und Rei und ich schon seit der siebten Klasse zusammen sind. In Wahrheit bin ich nur schüchtern, und Rei ist, seit ich drei Tage alt bin, mein Nachbar, mein bester Freund und mein selbst ernannter Ninja-Bodyguard.
Taylor ist im letzten Sommer aus Long Island in unsere kleine Stadt Byers in Vermont gezogen. Als die Schule im September losging, kursierte schon das Gerücht, dass Taylor mit 15 einen 2 1-jährigen Unistudenten der Vergewaltigung beschuldigt habe. Es gibt Hunderte Varianten von diesem Gerücht. Manche behaupten, ihre Eltern hätten sie zu einer Abtreibung gezwungen, andere munkeln, dass sie das Gerücht selbst in die Welt gesetzt habe, um ihre Popularität zu steigern. Denn wer findet es nicht cool, mit dem skandalumwitterten neuen Mädchen rumzuhängen?
Jetzt ist sie Teil einer Clique cooler, hübscher Mädchen, die am Wochenende in die Stadt fahren und mit Studenten feiern. Meist zieht das noch mehr Gerüchte nach sich. Die meisten davon ignoriere ich. Mit Ausnahme von einem, von dem ich weiß, dass es stimmt: Taylor Gleason steht auf Seth.
Seth und ich haben gleich nach dem Essen Unterricht in Wirtschaft. Wir bringen Rei zum Chemieunterricht, dann biegen wir nach rechts ab und folgen der Menge, die sich langsamin den zweiten Stock bewegt. Taylor Gleason sitzt umgeben von einer Wolke aus Moschusduft an einem Tisch bei der Tür. Während alle anderen Jeans, Kapuzenpullis und Turnschuhe oder Wanderschuhe tragen, hat Taylor einen knallengen, roten Minirock an und ein tief ausgeschnittenes schwarzes Top, das ziemlich viel Dekolleté zeigt. Sie hat keine Stumpfhose an, ihre Beine sind braun gebrannt und für die Absätze ihrer Schuhe bräuchte sie einen Waffenschein.
Ich setze mich auf meinen üblichen Platz bei Teri Barnes und Lisa McNamara. Seth geht zu einem Platz beim Fenster, möglichst weit entfernt von Taylor. Er steckt sich seine Kopfhörer in die Ohren und kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten. Vergeblich! Mit Klick-Klack-Geräuschen stöckelt das Unheil in seine Richtung.
»Hallo Seth«, haucht Taylor und legt ihre Bücher auf den leeren Tisch neben ihm.
Er dreht die Lautstärke seines iPods hoch.
Sie lässt sich davon nicht einschüchtern, platziert sich möglichst verführerisch auf ihrem Stuhl und legt ein Bein über das andere. Als sie damit fertig ist, bewegt sie ihren Kopf mit einer dramatischen Bewegung nach links und wirft ihr wallendes, blondes Haar über ihre Schulter.
Wusch
. An ihrem Ohr
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